Wohin reisen Sie?
Wäre ich jetzt ausgeruht und nicht so geistig abwesend gewesen... ich wäre ihnen wahrscheinlich ausgewichen, hätte es irgendwie gemieden, aber so steuerte ich direkt auf sie zu – oder vielmehr sie auf mich. Es sind wohl Bruchteile von Sekunden, in denen man jenseits aller Sprachtermini kommuniziert, ob man jetzt gerade Lust hat interviewt zu werden oder nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Lust hatte, aber meine verneinenden Signale waren auf jeden Fall deutlich zu schwach, um dieses spritzige Fernsehteam davon abzuhalten, mir das Mikro unter die Nase zu halten und Frontalaufnahmen von meiner übermüdeten Erscheinung zu machen. „Ohaio gozaimasu..“ - „Guten Tag!, dürfen wir.... für das japanische Fernsehen... wir interviewen Ankommende...Woher kommen Sie? Wohin reisen Sie?..“ Sie übersetzten ihre Fragen ins Englische und ich antwortete brav. „Aus Deutschland, Be-ru-ri-nu“ - „Ah... so-des-nee!“ Sind sie das erste mal in Japan? Ich verneine. „Wohin reisen Sie?“ Sie erwarteten vermutlich, dass ich nach Tokyo oder Kyoto reise. Ich sage, „ich weiss noch nicht, vielleicht Hokkaido“. Hokkaido ist die große Insel ganz im Norden, auf die sich der Normaltourist nicht hinverirrt. „Ah, Hokkaido.. so des nee!“ Warum gerade Hokkaido, wollen sie wissen. „Wegen der Natur!“, antworte ich. „Ich habe gehört, dass die Natur dort sehr schön sein soll“. Ich gebe zu, das war etwas provozierend. Als Normaltourist wollte ich nicht gelten. „Ah... so des ne!“ Sie mustern mein Gepäck. „Sieht sehr nach Backpacker aus...“, kommentieren sie. „Sind Sie Backpacker?“ Jetzt muss ich doch ausholen.. Ich erkläre ihnen, dass ich Wissenschaftlerin bin und drei Monate in Tohoku, der Nordregion, an einem Institut arbeiten werde. Ich ernte erstaunte Gesichter. Während meine Antwort ins japanische übersetzt wird, habe ich kurz Pause. Sollte ich ihnen von meiner Mission erzählen? Davon, dass ich vor 7 Jahren schonmal in Kyoto war und seitdem vom Japanvirus infiziert bin und nun auf der Suche bin nach dem Heilmittel und das gerne in unhomeöpathischer Dosis? Vielleicht weiss jemand der Zuschauer wo ich das Mittel finden kann, und meldet sich bei mir... träume ich vor mich hin. Ob sie das verstehen würden? Das Getuschele am anderen Ende des Mikros hat ein Ende.. Was für eine Wissenschaft wollen sie wissen? Biologie, antworte ich. „Ah... so des ne!“ Wieder Getuschele. Ich habe das Gefühl, sie sind auf der Suche nach irgendeinem spannenden Thema, dass unserem Gespräch etwas mehr Substanz verleihen könnte. Sie versuchen es mit der allseits umstrittenen Stammzellthematik und mich durchfährt ein resignierter Seufzer, der hoffentlich nicht von der Frontalkamera neben mir erfasst wurde. Ich weiss nicht, welches Thema ich mir erhofft hätte, aber sicherlich nicht dieses. Und auch nicht alle anderen, polarisierenden Themen, bei denen ich nur die Wahl habe, mich als Gegner oder Befürworter zu outen, ohne Gelegenheit, meine Position wirklich erklären zu können. Ich lächele freundlich und entschuldige mich.. „Dies ist leider nicht mein Spezialgebiet“ - und bin ausnahmsweise mal sehr dankbar dafür, dass es Spezialgebiete gibt, auf denen ich mich nicht auskennen muss. Sie versuchen es weiter... „Gestern abend in den Nachrichten gab es eine neue Entscheidung über...lalala...Stammzell..lalala.??? Haben Sie die gehört?... Was halten Sie davon?“ - So müssen sich Promis oft fühlen... nur weil sie einen Titel führen, oder auch nur das Titelblatt füllen, werden sie in jenster Sache nach ihrer Meinung befragt, ob sie dazu eine haben oder nicht. Ich höre keine Nachrichten, lese keine Zeitung. Ich faste Medien und das ist das einzige fasten, was ich seit Jahren gut durchhalte, weil es mich deutlich unbeschwerter leben lässt. Ob ich Ihnen dass sagen kann? Medien-fasten in einem Land wie Japan? Als Wissenschaftlerin? Ich gebe zu, es ist mir auch etwas unangenehm. Ich kann meist zu meiner Unwissenheit stehen, aber jetzt, in diesem fremden Land und vor laufender Kamera... Glücklicherweise fällt meinem unermüdlich logisch-arbeitenden Verstand eine Antwort ein. „Gestern abend... tut mir leid, da saß ich leider im Flieger, von einer Entscheidung habe ich nichts mitbekommen.“ Ich entschuldige mich nochmals für meine Uninformiertheit, und sie bedanken sich höflich für meine Antwort. Auf welchem Kanal sie auch senden mögen, sicher nicht auf meinem, und ich nicht auf ihrem, das spüren wir wohl auf beiden Seiten und das ist in Ordnung so. Wir bedanken uns nochmals und verabschieden uns und ich gehe weiter und versuche nicht darüber nachzudenken, ob ich diesen meinen Auftritt im japanischen Fernsehen jetzt gut fand oder nicht. Das war jetzt auch egal. Geld und Ticket - waren jetzt wichtig.
saja am 19. März 14
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