Donnerstag, 12. Juni 2014
Wwoofen auf Hokkaido
Wwwoof steht für world wide work on organic farms. Es ist eine Organization, die es Menschen jeden Alters erlaubt, in aller Welt auf organisch ausgerichteten Bauernhöfen gegen Kost und Logis zu arbeiten, sich auszutauschen und in andere Kulturen eintauchen. Seit mehreren Jahren liebäugelte ich nun mit dem Vorhaben Wwoofen zu gehen und nun endlich in Japan sah ich meine Chance diese Kultur noch von einer anderen Seite kennenlernen zu können. Eine Woche besuchte ich also ein Familie auf Hokkaido, die hoch oben in den Bergen, nahe eines Flusses in einem selbstgebauten Häusschen sich nach bestem Wissen und Gewissen selbst-versorgt. Es war eine lange Anreise und ich habe noch lange überlegt, ob es sich lohnt, aber all meine Bedenken waren verflogen als mich Mutter und Tochter an der Bushaltestelle empfingen - hier bin ich richtig!



Ich hatte mein eigenes Holzhäusschen im Wald umgeben von tausenden von Fröschen. Zugegeben, ich musste etwas schlucken, als mir mein Tagesablaufplan vorgestellt wurde: halb acht Frühstück, arbeiten, 10 Uhr Teepause, arbeiten bis zum Mittagessen, dann eine Stunde frei und dann arbeiten bis zur Kaffeepause und dann wieder bis zum abendlichen Bad so gegen 18Uhr. Danach Abendbrot und Schlafen gehen. Das klang nach viel Arbeit und für einen Moment war ich unsicher, ob es richtig war, meinen spärlichen Urlaub für die Feldarbeit zu opfern. Aber was solls - ich ließ mich drauf ein und hatte eine wirklich gute Zeit. Im Gegenteil: ich wurde so dermaßen gut bekocht und umsorgt, dass ich mit jedem Tag mehr arbeiten wollte, um meiner Dankbarkeit irgendwie Ausdruck zu verleihen.



Meine Aufgaben bestanden im wesentlichen aus dem morgendlichen Wässern des Gewächshauses, nach den Mahlzeiten das Geschirr abwaschen, Holz stapeln, ab- und zu Unkraut jäten und dem Vater bei diversen Tätigkeiten helfen. Das Holzstapeln war überraschenderweise gar nicht so einfach, wie es aussieht. Das frisch geschlagene Holz verliert noch ca 20 bis 40\% Wasser und die Kunst besteht darin, es so zu stapeln, dass der ganze Stapel beim Trocknen gemächlich zusammenschrumpft und nicht zusammenbricht. Es war wie ein großes Puzzle, das mich gut herausforderte und immer wenn mein Ehrgeiz gar zu groß wurde, kam die Teepause. Hier mein Ergebnis, von dem ich hoffe, dass es bis zum Frühjahr stehen bleibt:



An zweiten Tag haben wir das Schaf geschoren. Mit der Hand, nicht mit der Maschine. Es tat gut zu sehen, wie sorgsam der Vater mit dem Tier umging und wie sich das Familienschaf mit jedem Kilo abfallender Wolle sichtlich wohler fühlte und entspannte. Zum Schluß wollte sie gar nicht mehr aufstehen. Anschließend habe ich gelernt, wie man einen Elektrozaun installiert und wie man vermeidet, dass die Batterie im Nu alle ist.




Eines der Highlights für mich, weshalb ich diese Familie und diesen Ort ausgewählt hatte, war das Außenbad. Das Baden ist ein wichtiger Bestandteil der japanischen Kultur, wie ich an anderer Stelle noch berichten möchte. Es gibt viele Variationen, aber ein privates Außenbad kannte ich noch nicht.
Es besteht traditionell aus einem gußeisernen Bottich unter dem ein Feuer entzündet wird. Das ist beeindruckend simple und trotzdem nicht ganz so einfach zu wie es sich anhört, denn das Bad und auch die äußeren Umstände besitzen eine ganz eigene Dynamik, die sich mir erst so nach- und nach erschloß.



Ich habe mich immer gewundert, dass ich in der sengenden Mittagshitze das Feuer anmachen sollte, habe versucht zu diskutieren und es meist aufgegeben und einfach getan, wie befohlen. Ich hatte einige Gelegenheit das o-furo auszuprobieren, zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten, allein und mit der kleinen Tochter und alles hatte seinen eigenen Reiz. Das nächtliche Froschkonzert im Dunklen, das Plantschen zu zwein. Beim Sitzen im Kochtopf über loderndem Feuerrausch wurde mir aber auch etwas anders zu mute.... Mittlerweile weiss ich, dass es sinnvoll ist, das Feuer frühzeitig anzumachen, wenn man nicht im Rauch sitzen will und dass es für den Po und andere Körperteile durchaus angenehmer ist, wenn der Eisenbottich seine Hitze bereits an das Wasser abgegeben hat. Falls jemand einen solchen Eisenbottich übrig hat... her damit!





Etwas, was ich sehr faszinierend fand, waren die Shitake-Pilze, die ich alle 2-3 Tage zu wässern hatte. Dabei konnte ich miterleben, wie schnell Pilze doch wachsen können. Der Prozeß des Beimpfens der Stämme ist relativ einfach. Man bohrt in regelmäßigen Abständen Löcher in das Holz und füllt diese mit Impfdübeln, in denen der Pilz lebt. Der Pilz bereitet sich dann nach und nach im ganzen Stamm aus, was einige Zeit dauert. Das heißt, man muss etwas Geduld haben, bis ein Stamm vom Pilz so durchdrungen ist, dass er regelmäßig immer wieder Fruchtkörper produziert. Im Internet habe ich erfahren, dass die ersten Pilze erst nach frühestens 12 Monaten zu sprießen beginnen. Das hängt aber auch vom Wässern ab, denn Pilze lieben es feucht. Dann aber, kann man mehrere Jahre von April bis Dezember ernten und essen und mittlerweile mag ich den Geschmack der bei uns nicht heimischen Shiitake-Pilze auch sehr gern. Manche der von mir gewässerten Stämme lagerten dort schon 10 Jahre und wurden wohl schon von sehr vielen verschiedenen Wwoofern gegossen (und gegessen).



Eine weitere Aufgabe, die ich gern nutzte, um in der Mittagszeit in das angenehm kühle Haus zu flüchten, war das Verpacken der selbstgebackenen Kekse und Kuchen. Ich hatte gerade eine Phase erwischt in der ein großer Markt vorbereitet wurde und so klebte ich Etiketten, band Schleifchen um die zahlreichen nach japanischer Art einzeln verpackten Küchlein und Keksbeutelchen und tauschte mich über Rezepte aus. Anfangs war ich etwas enttäuscht, weil es eher europäische denn japanische Backwaren waren, aber die waren dafür sehr lecker und für mich einfacher nachzumachen als die japanischen Kunstwerke. Ich begleitete Mutter und Tochter auf einen größeren Indoor-Markt in der Hauptstadt Hokkaidos. Dort gab es ausschließlich Selbstgemachtes, darunter viel Genähtes. Aber leider nicht die Art von Handwerk, die mein Herz höher schlagen läßt, und so amüsierte ich mich mit der Kleinen.



Am meisten begeistert haben mich hier die Kids. Die waren so smart, pfiffig und selbstständig, dass ich nur Staunen konnte. Der mittlere brachte mich immer wieder zum Lachen, der Älteste ist ein guter Beobachter und Drummer und wir hatten zwei kurze, aber lustige Sessions zusammen und die Kleinste war einfach beeindruckend und immer für Überraschungen gut. Ich bin begeistert von ihren Zeichnungen, ihren Fotos und ihrer charmanten Art, in der sie mir klar machte, dass sie das Lied, was ich gerade angestimmt hatte, nicht mag. Während die Jungs tagsüber in der 15km entfernten Schule waren, blieb ich mit Mutter, Vater und Tochter zu Hause. Meine Frisur wurde täglich von der Kleinen kritisch beäugt und korrigiert und auch auf dem Markt hatten wir eine Menge Spaß zusammen. Nur ungern verließ ich diesen Ort und hoffe wieder zurückkehren zu können....




Mittwoch, 28. Mai 2014
Aufbruch
Nun also, nach einigen anstrengenden Wochen, sitze ich im Zug, verlasse das vertraute japanische Heim, dass sich in dieser kurzen Zeit tatsächlich wie ein Heim anfühlt, mit liebenswerten Menschen und noch immer angenehm kleinstädtischer Atmosphäre. Ich hätte gut und gerne meinen Urlaub dort verbringen können, aber die schönen Beschreibungen in meinem Reiseführer und die Tatsache, dass ich schon einen Zugpass gekauft hatte, machten es mir fast unmöglich, am gleichen Ort zu bleiben. Nun denn nach Nächten qualvoller Unentschlossenheit, hat der hohe Norden gewonnen: Hokkaido und ich sitze im Zug dorthin.

Es fiel mir schwer zu gehen. Zwei Wochen habe ich mich Stück für Stück gelöst. Ich habe mich bemüht, für all meine angehäuften Geschenke und Unterlagen eine gute Versandmöglichkeit oder Unterbringung zu finden. Jetzt ist alles verstreut: meine Wintersachen warten in der Wäscherei auf meine Rückkehr, meine Küchenutensilien und weitere Wintersachen sind im Hause meines Betreuers, Geschenke und Andenken reisen vermutlich gerade durch Sibirien ein anderer Teil wartet in meinem Koffer in Tokyo im Hotel darauf, dass ich ihn nächsten Freitag dort abhole. Und dann könnte man meinen, reiste ich nun mit kleinem Gepäck... weit gefehlt... Ich habe wohl etwas verlernt gut zu reisen. Nun denn: learning by doing.



Jetzt gerade sitzte ich auf dem Fussboden auf der Fähre nach Hokkaido. Es ist ein riesiges Schiff für ganz wenige Leute und entsprechend mager ist das Angebot an Verpflegung. Aber die Basics sind wie immer super und für mich völlig ausreichend. Das Beste - und allein dafür liebe ich dieses Land - ein Teppichboden, auf dem man ganz einfach schlafen kann. Man zieht die Schuhe aus und bettet seinen müden Kopf auf kleine lederne Polsterquader. Das auf dem Bodensitzen ist so einfach... Dann gibt es einen Hahn mit Trinkwasser, heisses Wasser und Mikrowellen (eigentlich für das Mikrowellenessen aus den Automaten... aber meinen mitgebrachten Reis haben sie auch anstandslos erhitzt). Nach Hokkaido kann man auch per Zug durch den 58km langen Seikan-Tunnel gelangen. Mit 140m, ist er laut Reiseführer der tiefgelegenste und längste Unterwassertunnel der Welt. Ich mag Tunnel nicht besonders und die Vorstellung 140m unter Wasser zu reisen, macht mir Beklemmungen. Aber ich gebe zu, ich wollte Geld sparen und habe deshalb die Fähre gewählt. Hätte ich gewusst, dass die Busse vom Bahnhof zur Fähre so ungünstig fahren, dass man ein Taxi nehmen muss, wenn man mit dem Gepäck nicht eine halbe Stunde oder länger wandern will - hätte ich es mir wahrscheinlich anders überlegt. Der Preis war letztendlich der gleiche, aber die Zeit doppelt so lang. Dafür ist es ein gemütliches Reisen mit Sonnenuntergang überm Meer und Sitzen auf dem Teppichboden.

Dies ist nun endlich mein langersehnter - nächtelang geplanter Urlaub, auf den ich sehr gespannt bin. Zum einen habe ich gefühlt seit zwei Jahren keinen Urlaub mehr gemacht, zum anderen habe ich mich selten so sehr mit einer Entscheidung gequält, wie mit dieser. Vielleicht weil es darauf hinausläuft sich zwischen zwei wohlschmeckenden Äpfeln zu entscheiden, der eine etwas teurer, aber etwas größer, der andere etwas bescheidener, aber angeblich von ebenso ausgezeichnetem Geschmack. Vielleicht entscheidet in dem Fall ganz einfach der Appetit. Ich hatte demnach Hunger auf eine weite Reise und der Name Hokkaido steht für Wildnis, grandiose Landschaft, aktive Vulkane und eben auch für Weite. Bei meiner Planung hatte ich etwas unterschätzt, dass dieses Inselchen die Größe von Irland hat - also eigentlich ein Land für sich ist. Ich habe mich immer über die langen Zugfahrzeiten gewundert, aber im Reiseführer gibt es kein gesondertes Kapitel für dieses Land und der Maßstab der Karte ist vermutlich daher ein anderer als für andere Regionen. Aber das ist mir erst heute aufgefallen.

Zwei Taxifahrten habe ich heute schon hinter mir. Das entspricht ungefähr der Gesamtanzahl der Taxifahrten in meinen letzten drei Jahren, will heißen ich fahre eigentlich nie Taxi. Aber hier war es schon ein Erlebnis. Natürlich waren sie sehr höflich und ich war etwas überrascht über die Automatiktür, die auf und zu ging. Am besten fand ich aber die weissen Spitzenhäubchen auf den Sitzen und auf der Rückbank. Die waren allerliebst.

Mein erstes Ziel ist Hakodate, eine Hafenstadt im Kolonialstil, dessen Fischmarkt ich jetzt erstmal erkunden werde.
Auf die Geschichte müsst ihr allerdings evt. noch ein Weilchen warten, denn danach geht es in der Wald, fernab der Zivilisation und auch fernab der Mobilfunk- und Internetnetze. Ich werde bei einer Familie mit drei Kindern wohnen und deren Alltag miterleben und dies und anderes aufgeschobenes Euch berichten, wenn ich nächste Woche wieder im heimatlichen Deutschland gelandet bin.



Matsuri
An meinem letzten Sonntag in der Stadt gab es ein Fest, Tenno-Matsuri. Matsuri ist wohl ein recht genereller Begriff für traditionelles Fest, so etwas wie Stadtfest oder Kirmes. Jede Stadt hat 1-3 Feste pro Jahr, immer am gleichen Tag, also nicht unbedingt am Wochenende. Das Fest meiner Stadt ist am Geburtstag meines Betreuers, und er genießt es, dass ein jedes Jahr die ganze Stadt mit ihm feiert. Die Hintergründe sind mir trotz emsigen Nachfragens noch nicht ganz klar. Von einer Seite hörte ich, dass es ein Samureifest sei. Dass allerdings ist wiederrum ein großer Begriff, der in mir nochmehr Fragezeichen aufwirft. Am einfachsten ist vielleicht zu erzählen was da passiert.

Wie schon zum Sakurafest gab es zahlreiche Imbiss-, Los- und natürlich Goldfischbuden und ich hatte Gelegenheit ein geschichtetes Rührei-Sandwich probieren zu können. Kraut, Eierkuchenteig, Schinken und natürlich Ei wird alles gebraten und dann geschichtet und dann wieder gebraten. Ich war immer sehr angetan von der Optik und es schmeckt auch ganz gut. Es gab im Parkt bestimmt doppelt soviele Stände, wie beim Sakurafest. Allerdings blieben sie diesmal nur einen Tag. Es gab auch zwei Bühnen mit Tanzaufführungen und Musikaufführungen. Die erste Tanzaufführung die ich dabei zu Gesicht bekam, waren Hawaianische Tänze. Ich bin kein Fan von Showtanz und wollte eigentlich gleich weitergehen, aber die geschmeidig-fließenden Bewegungen der Japanerinnen haben mich trotz der etwas kitschigen Musik fasziniert verweilen lassen. Hawai und Japan - die Verbindung hätte ich sicher nicht gezogen, was zeigt, wie trotz aller Verliebtheit mein Blick doch recht einseitig ist. Für mich sind alle Japaner fasziniert von Bach, Brahms, Mozart, Beethoven, Neuschwanstein und Rothenburg ob der Tauber. Hawai und Brasilien passen da so gar nicht in mein Bild. Vielleicht fehlt mir auch einfach ein Aufenthalt im Süden, wo die Kultur einer Insel im Pazifik noch spürbarer ist, als hier im Norden. Ich weiss nicht viel von Hawaianischer Kulture, aber beim Anblick der Tänzerinnen konnte ich verstehen, warum die zarten oder auch nicht so zarten Japanerinnen sich in dieser Kultur wiederfinden können. Die darauffolgenden Gruppen waren nicht so gut und ich ging weiter.

Etwas abseits entdeckte ich einen Mann mit einem kleinen Drehorgelgroßen Wagen umringt von einer Kinderschar. Ist das vielleicht... - Ja, tatsächlich, das war ein Kamishibai...- Mensch. Ein Kamishibai ist ein hölzernes Minitheather, eine Art Bilderrahmen, in dem Bildtafeln eine die vom Kamibishai-Menschen erzählte Geschichte illustrieren. Früher gab es sehr viele Kamibishibaierzähler. Sie fuhren mit ihren Wägen in die Parks, erzählten Geschichten und verkauften dabei Süßigkeiten - das waren quasi die Eintrittskarten. Mit dem neuen Medien sind sie aus den Parks verschwunden, aber scheinbar gibt es noch ein paar einzelne Exemplare von ihnen. Meine Japanischlehrerin hat - als sie erfuhr, dass wir Geschichten mögen, sich einige der sehr bekannten und beliebten Kamishibai aus der Bibliothek ausgeliehen und sie uns vorgelesen. Die meisten Geschichten handeln von Oochiisan und Obaasan - Großväterchen und Großmütterchen, die meist keine Kinder haben und arm sind, aber ein gutes Herz haben. Ich mochte die Illustrationen sehr gern und genoß die Geschwindigkeit des Erzählens und Umblätterns. Mit nostalgischen Augen beobachtet ich nun den Kamishibaierzähler. Die Bilder waren nicht fesselnd und doch waren scheint die Kinder von dieser alten Art der Unterhaltung recht angetan, was mich erfreute. Im Gegensatz zu den Kindern schien er selbst etwas gelangweilt zu sein von seinem Job. Mit viel Routine verteilte er die Süßigkeiten und blätterte die Seiten um. Nun ja, die Überlebenden leben ohne Konkurrenz.

Im Zentrum des Festes stand eine Parade, also ein Umzug, der hauptsächlich von hiesigen Schulen gestaltet wird. Sie starten vom Bahnhof, wo vor Beginn des Umszugs u.a. die Schulorchestern ihr Können präsentierten. Die waren wirklich gut und es gab einen ziemlich großen Anteil an Mädchen, u.a. auch die Dirigentin selbst - ein etwa 14 jähriges Mädchen. Dann begann der Umzug. Etwas 8 Schulen präsentierten Tanzaufführungen. Ein Wagen mit Lautsprechern spielte Musik und die Kinder und Lehrerschar folgte.

Laut meinen Infos sind alle Schüler dabei und die Gesichtsausdrücke der Kinder varrierten von gequält, über stolz, bis hin zu ``Spaß haben''. Letzteres überwog deutlich und so war es auch mir eine Freude ihnen zuzusehen und die Präszision mit der sie gemeinsam klatschten, riefen, tanzten und in die Luft sprangen war faszinierend - eine schöne Frucht der japanischen auf Gleichschritt und detailgetreue Imitation getrimmten Schulbildung.
Die Feuerwehr hatte auch einen Wagen und wie bei uns, gab es eine Blaskapelle mit gleichen Tönen, was mich etwas verwirrte. Sie nutzten die Gelegenheit Werbung für den Gebrauch von Feuerlöschern zu machen und die Hausfrau war ein beliebtes Fotomotiv. Auf jeden Fall hatten sie eine Menge Spaß und wir am Rande auch... was vielleicht auch an einem anderen Fakt lag...
Das eigentümlichste an diesem Fest aber nämlich die Bukemono. Verkleidete und maskierte Freiwillige, die den ganzen Tag durch die Stadt liefen und wahlweise Sake oder Saft ausschenkten. Ihr Ziel war es nicht erkannt zu werden von den Stadtbewohnern. Wer drei Jahre hintereinandern nicht erkannt wird, wird angeblich mit viel Glück belohnt. Nun.. ich habe ersteinmal die nehmende Seite probiert und die Gelegenheit genutzt etwas vom hiesigen Sake zu verkosten, denn es gab an der Strecke auch Nachfüllstationen für die Bukemono, an denen man Sake bekam und die Sorte wählen durfte.

Es gibt wohl wenig Städte in denen man einen Tag lang kostenlos Sake ausschenken könnte, ohne hinterher die Notfallstationen voll Trunkener Menschen zu haben. Stellt Euch mal ein skandinavisches Land vor! Aber hier ist das Sich-Betrinken nicht sehr populär und ich habe wenig wirklich trunkene Menschen gesehen. Es war einfach ein schönes entspanntes kleines Fest in sommerlicher Atmosphäre - ein schöner Abschluß meines Aufenthaltes hier.



Sonntag, 18. Mai 2014
Sakura: Neubeginn und Abschied
Vor kulinarischen Überraschungen ist man hier scheinbar nie gefeit. Passend zum Kirschblüten-Tee habe ich mir eine Süßigkeit gegönnt, die ich von meiner Teelehrerin geschenkt bekommen habe. Ein Reiscräcker mit Blüten drauf. Die Sorte hatte ich noch nicht probiert und war neugierig und gepresste Zuckerstücke in Blütenform hatte ich die Tage zuvor zur Genüge gegessen. Das Nachschlagen im Wörterbuch hat sich mittlerweile auch auf eine erträgliche Geschwindigkeit gesteigert, so dass ich mir die Mühe machte, das Kanji auf der Packung zu entziffern: Sakura! Wie passend!
Ich trank einen Schluck frischen Tee und biss genußvoll in den Cracker, einen zart-süßlichen Geschmack von Keks erwartend... Aber dem war nicht so und für einen Augenblick war ich zugegeben etwas angewidert: Fisch! Dass der Cracker nicht süß sondern salzig schmeckt, okay, aber der Fischgeschmack musste nun wirklich nicht sein! Ich suchte die Strichzeichen auf der Packung nach jenem Zeichen für Fisch ab, eines der wenigen Zeichen die ich kannte, weil es vier Flossen und ein Fenster hat und ich die Zeichen mit Fenster gern mag. Es gab große und kleine Zeichen auf der Packung und mir fehlte eine Lupe um sicher zu sein. Aber eines der winzigen kleinen Zeichen könnte durchaus ein Fenster mit 4 Flossen sein. Es könnte wahrscheinlich auch sonstetwas sein. Würde ich den Fisch nicht erwarten, würde ich das Kanji vermutlich auch nicht erwarten.... Man muss wohl wissen, wonach man sucht, um unter den winzigen Zeichen, dasjenige für Fisch zu finden. Ich aß noch eine der mir vertrauten Zuckerblüten und machte einen weiteren Aufguß...
Kulinarische Überraschung
Während der Tee hinreichte, um den Fischgeschmack hinweg zu spülen, für meine Gedanken reichte er nicht. Die kreisten noch immer um den Fischgeschmack und die Frage, wie man darauf kommt, Sakura mit Fisch zu verbinden. Vielleicht entspricht der Geschmack nur deshalb so gar nicht meinen Erwartungen, weil mein Bild von Sakura ein anderes ist.
Ich sehe die Blüten, das reine, frische neue Erwachen in den Kirschblüten, die den Wandel einläuten. Ich sehe die blühenden Bäume im Park, Menschen - alte und junge, die die Blütenpracht bestaunen und das stimmungsvolle Ambiente nutzen, sich dort zu treffen.
Sakura
Es gibt einen richtigen Sakura-Tourismus und die Städte werben mit ihrer Kirschblütenpracht (meist begleitet von erhöhten Hotelpreisen). Und tatsächlich scheint es, ähnlich der saisonalen Spezialitäten auch regionale Spezialitäten in Sachen Kirschbäume zu geben. Sendai ist beispielsweise bekannt für seine wunderschön hängenden Kirschbäume:
Sakura
Das Treffen im Park wird meist verbunden mit einem Picknick. Mehr oder weniger große Gruppen treffen sich dort zum Verspeisen ihrer BentoBoxen und stundenlangen Sitzen, plauschen und schauen. Die berüchtigten Alkoholexzesse sind mir zumindest dabei nicht begegnet. Die scheinbar allseits beliebten blauen Plastikplanen störten allerdings meinen romantischen Blick.
Auch Firmen nutzen die Gelegenheit für einen Betriebsausflug. Den von meinem Institut habe ich leider verpasst, dafür konnte ich Zaungast bei einer anderen Firma sein, die den Samstag (!!!) vor dem 1. Mai - dem Tag der Arbeit, der hier wie auch bei uns ein Feiertag ist - den halben Park in Beschlag nahm und Preise für ihre Angestellten verteilte. Leider konnte ich nicht verstehen, ob die Preise gelost oder Auszeichnungen für gute Arbeit waren.
Die Zeit des Neubeginns und die blühenden Kirschbäume sind natürlich auch ein idealer Zeitpunkt zum Heiraten. Und so war es nicht so verwunderlich, dass ich gleich mehrfach eine Hochzeitspaar zu Gesicht bekam. Es heisst, in Japan werden die Menschen shintoistisch geboren, christlich vermählt und buddhistisch beerdigt. Das zeigt ganz gut, wie die Japaner mit Religion umgehen: alles was passt und schön ist, ist gut. Shinto und Buddhismus waren auch lange Zeit eng miteinander verwoben und erst im Zuge der Rückbesinnung auf urjapanische Wurzeln Ende des 19.Jhd wurde Shinto und Buddhismus getrennt. Seitdem gibt es sowohl buddhistischen Tempel und Shinto-Schrein nebeneinander. Gut aber zurück zum Heiraten.

Wie gesagt, christlich heiraten ist, so wie alles westliche ``schick``. Es gibt eigens auf christliche Heiraten spezialisierte Etablissements, das mit der Kirche ist dabei wohl auch nicht so wichtig - wer als Europäer ein halbwegs seriöses Auftreten besitzt, kann als ''Weddingmaster`` in Japan mit dem Vermählen sein Geld verdienen. Das geht leider nur für Männer, ich hätte den Job sonst aus reiner Neugierde gern mal angefragt. Das Heiraten nach Shinto-Tradition kommt aber zunehmend auch wieder in Mode. Außer dass man dabei 3 Becher Sake in 3 Schlücken miteinander teilt, weiss ich über das Ritual leider nicht sehr viel. Das Brautkleid ist auf jeden Fall nicht minderaufwendig zu tragen, wie die christliche Hochzeitsgarnitur.
Schließlich ist Sakura auch Sinnbild für den Wandel und die Vergänglichkeit. Je nach Wetterlage, kann man sich mehr oder weniger lang an den Blüten erfreuen. Manchmal sind sie nach drei Tagen schon wieder hinweggeweht, kaum dass sie erblüht sind. Dieses Jahr jedoch war die Zeit der Kirschblüten mit einem sommerlich mildem, mäßig windigem Wetter gesegnet, so dass wir fast 3 Wochen uns an der Blütenpracht erfreuen konnten. Nichts destotrotz fallen sie irgendwann und dann ''schneit`` es tatsächlich...
Das Fallen der Kirschblüten ist Thema sehr vieler Gedichte und Lieder. Eines davon habe ich in meinem Sprachkurs gehört.
Dabei habe ich auch erfahren, dass in Japan der April für viele Menschen tatsächlich eine Zeit des Wandels ist. Die Universitäten und Schulen beginnen ein neues Schuljahr, in den Firmen beginnt das neue Geschäftsjahr und wer seine Arbeit verliert, eine neue beginnt oder - wie sämtliche Staatsdiener - alle drei Jahre automatisch in einer andere Region versetzt wird... 1. April. Der Einfluß, den die Menschen dabei meist auf ihr Schicksal haben, entspricht meist dem, den sie auf das Fallen der Kirschblüten haben...

Es gilt das Unabänderbare anzunehmen und dem unvorhersehbaren Neuen offen zu begegnen. Die Wehmut aber auch die Unsicherheit, die in den Gedichten und Liedern meist anklingt, wird vor diesem Hintergrund irgendwie nachvollziehbar. Vielleicht ist mein Sakura-Fischcracker eine Anspielung auf ebendiese Unvorhersehbarkeit...

Hier der Link zu dem Sakura-Song eines von jungen Mädchen heiß begehrten Sängers und Songwriters. (Achtung nervige Werbung! Besser erst auf lautlos stellen). Mehr Fotos gibt es beim Klick auf folgendes..



Samstag, 17. Mai 2014
Sakura: Natur im Wandel
``Es ist Ende April und im Park schneit es erneut, wenn auch das Weiß im Wasser nicht vergeht, sondern stattdessen auf der Oberfläche treibt und nachts einen süßlichen Geruch verbreitet.
Sakura
Sakura - der Kirschbaum - blüht und seit etwa 10 Tagen ist der Park in schnellem Wandel. Ein zartes Grün hat sich schon in das Meer aus weißen, zum Teil zart rosafarbenen, Blüten gemischt und wird schon bald das Bild im Park dominieren. ''
So habe ich vor 20 Tagen meinen Bericht angefangen. "Sakura", die Kirschblüte, ein Wort hinter dem sich vieles verbirgt - zumindest habe ich es in so vielen verschiedenen Intonationen gehört, dass ich reichlich verwirrt war, um was es eigentlich geht und schwer schreiben konnte. Mit anderen Dingen ist es ähnlich - je länger ich hier bin, umso vorsichtiger werde ich mit dem Urteilen, oder anders gesagt, umso mehr merke ich dass ich nur wenig verstehe von dieser Kultur. Aber ich bemühe mich zumindest zu beschreiben und sollte ich dennoch versehentlich urteilen... schreibt mir!

Was Sakura betrifft, so hat sich mittlerweile der Trubel gelegt, die Fressstände im Park sind verschwunden und man findet erstaunlicherweise nicht das leiseste Anzeichen mehr des Spektakels - selbst die Blüten sind alle verschwunden. Das ist übrigens ein Phänomen - selbst wenn nachts eine wilde Freßorgie tobt, tagsüber Menschen im Park picknicken mit all ihrem Plastikgeschirr und Bentoboxen... am nächsten Morgen ist der Park wie frisch gefegt.
Sakura
Nun denn die Kirschblüten, der eigentlich Anlass dieses Festes... Ein paar Kirschbäume, die sich lange zurückgehalten haben werfen gerade ihre letzten Blüten. Diese Sorte hat sehr volle Blüten und leicht rötliche Blätter. Als ich sie das erste mal sah, war ich sehr erstaunt über diese Nachzügler, deren Blätter und Blüten eßbar sind und traditionell in Pflaumenessig und Salz eingelegt werden.

Früchte tragen diese Bäume nicht, also sind alle Aromastoffe in den Blättern und Blüten gesammelt. Die eingelegten und getrockneten Blüten kann man als Tee aufgiessen. Das sieht sehr schön aus. Der Geschmack erinnert allerdings eher an eine - wenn auch köstliche - Brühe und ich war reichlich irritiert, als ich dieses Getränk zum ersten Mal probierte. Aber frisch kann man sie auch aufbrühen. Der Kischtee schmeckt nur leicht salzig und hat ein sehr feines Kirscharoma. Und während der Tee auf Trinktemperatur abkühlt, wird einem die rasche Vergänglichkeit jugendlicher Schönheit im Zeitraffer vor Augen geführt...
Bei Fotografieren fiel mir auf, dass ich von den anderen Kirschblüten zwar unzählige Fotos gemacht habe.. aber ich hätte nicht sagen können, wieviele Blütenblätter eine Kirschblüte hat. "Hätte ich sie zeichnen müssen wäre das vermutlich anders gewesen." - dachte ich. Nun denn hier ein Foto der im Park hier vorherrschenden Art. Wer mehr Fotos sehen will... klicke auf das Bildchen.
Sakura
Natürlich gibt es auch für dieses Ereignis eine entsprechende Süßigkeit: In die salzig-sauer eingelegten Kirschblätter wickelt man rosafarbene mit Anko-gefüllte Reisbällchen: Sakura-Mochi! Diese Sorte von Mochi war das erste Mochi, dass ich in Deutschland gegessen hatte. Es war während des Teeunterrichts. Mag sein, dass meine Sinne deshalb so überwältigt waren von dieser homeopathischen Dosis Kirscharoma, aber ich könnte schwören, selbst die reifesten Kirschen können nicht so intensiv schmecken, wie diese Klebreisbällchen! Und das salzig-sauer eingelegte Kirschblatt ist zudem recht erfrischend.

Mein erstes Sakuramochi hier in Japan sollte daher ein besonderes sein, sprich nicht aus dem Supermarkt und ich wollte es nicht einfach so essen und schon gar nicht vor der Kirschblüte. Aber kaum blüten die Kirschbäume, war soviel los und letztlich habe ich gar kein Sakuramochi zu kaufen bekommen und nun ist die Saison schon wieder vorbei. Zum Trost habe ich mich doch vom Supermarktangebot verleiten lassen - So konnte ich euch zumindest ein Foto zeigen - der Geschmack indes... naja, nächstes Jahr..
Und obwohl etwas traurig über die verpasste Gelegenheit, bin ich doch ein großer Befürworter dieser saisonalen Spezialitäten. Mir scheint, hier gibt es jede Woche etwas, was nur jetzt Saison hat und sei es die Form der gepressten Zuckerstückchen. Wenn ich die Tochter der Süßwarenverkäuferin richtig verstanden habe, ist momentan Muschelform angesagt...
Kulinarische Überraschung



Montag, 5. Mai 2014
Langes Schweigen
Mit Erschrecken musste ich gerade feststellen, dass mein letzter Eintrag schon über zwei Wochen her ist. Für alle Besorgten... ich lebe noch - mehr denn je! Der Frühling hat mich auch hier gepackt und mit dem Sonnenschein haben auch die Aktivitäten zugenommen. An mitteilenswerten Geschichten mangelt es mir also keineswegs - Allein, ich habe in den letzten zwei Wochen mehr erlebt, als ich zu verarbeiten im Stande war, zumal mein Projekt auf Arbeit mich nun voll beansprucht... Aber ich versuche einiges aufzuholen... Morgens gibt es den nächsten Eintrag über einen schönen Ausflug in eine andere Welt...



Teezeremonie, die 2. - Im Hause des Teemeisters
Zu Ostern habe ich einen Ausflug in große Stadt auf der anderen Küstenseite gemacht. Es war ein etwas übereilter Ausflug, gebucht an einem grauen, einsamen Tag der Sorte ``Lost in Translation'', von denen es zwei Wochen nach meiner Ankunft einige gab. Ich kann mich in der Regel sehr schlecht entscheiden, aber als ich im Internet diese Unterkunft fand, habe ich sofort gebucht. Als ``Amazing BIG traditional japanese House'' wurde es angepriesen - und das war es auch. Ich erreichte die Unterkunft erst abends um acht, als es schon ganz dunkel war. Dankenswerterweise hat mich mein Kollege, dessen Besuch der eigentliche Anlass meines Ausflugs war, mit dem Auto in den reichlich abgelegen Vorort gebracht. Sein Angebot mir beim Check-In sprachlich zur Seite zu stehen habe ich dankbar angenommen. Ich weiss nicht, was ich ohne ihn gemacht hätte... Selbst wenn ich im Dunkeln per Stadtplan das Haus gefunden hätte, ich hätte nicht einmal das Namensschild entziffern können....Kikuchi.
Eine hohe Betonmauer zur Straße hin verunmöglichte die Sicht auf das dahinterliegende Refugium. Auf unser Klingeln hin öffnete sich ein großes Automatik-Tor und der Hausherr - ein älterer Herr von etwa 60 Jahren mit runden, sehr freundlich dreinblickenden dunklen Augen empfing uns im dunkelblauen Kimono. Erfreut begrüßte er meinen unangekündigten, aber dafür sprachversierten Begleiter. Wir parkten das Auto im Innenhof und während wir in der dunklen, nächtlichen Stille warteten bis sich das Automatiktor schloß, spürte ich mein Herz ganz aufgeregt schlagen... Ich hatte derart japanische Häuser mir oft in Büchern angeschaut und davon geträumt, dort einmal live zu sein - und nun stand ich im ersten Innenhof eines solchen Hauses. Es war mir unangenehm, dass ich mich sprachlich so wenig auszudrücken wusste und wich meinem Begleiter nicht von der Seite. Wir gingen durch das erste hölzerne Schiebetor den dezent beleuchteten Pfad zum Haus hinauf.
Der Meister öffnete erneut eine hölzerne Schiebetür und wir betraten den Eingangsbereich des Hauses. Ich blieb erstmal wie angewurzelt stehen... Das mehrdimensionale Ensemble aus verschiedenen, hölzernen Elementen, der dunklen, hölzernen Skulptur im Hintergrund war eher ein Bild als ein Wohnraum... Ich war beeindruckt. Wir zogen flux die Schuhe aus und betraten das Bild und bekamen kurz darauf eine Führung durchs Haus: Bad, Toilette 1, Toilette 2, mein großes, traditionell leeres Tatami-Zimmer, ein nochmal doppelt so großes Tatami-Zimmer nebenan (ein Salon würde ich sagen), der Korridor und schließlich... die Tür zum Garten.
Mein Begleiter wurde kurzerhand auch zur Teezeremonie eingeladen und er nahm dankend an, denn einen solchen Ort hatte der gebürtige Kanadier trotz seiner 20 Jahre Japanaufenthalt auch noch nicht erlebt. Teezeremonie - jetzt? - fragte mein Gastgeber. Ich dachte kurz an meinen leeren Magen, an meine gefüllte BentoBox im Rucksack und entschloß mich kurzerhand mich heute abend anderweitig zu nähren und willigte ein.
Im Garten standen auf dem Trittstein schon ein paar Strohsandalen für uns bereit in denen wir von Stein zu Stein zum Wasserbecken tappten. Händewaschen und Mundspülen hatte ich glücklicherweise bei meiner ersten Teestunde schon gelernt. Aber der Meister war auch gut und eifrig im Anleiten.
Unweit des Wasserbeckens war der Eingang zum Teehaus: in etwa einem halben Meter Höhe gab es eine etwa ebensohohe Luke, durch die man hineinkrabbelt. Dann dreht man sich um und stellt die auf dem großen als Stufe dienenden Stein abgestreiften Strohsandalen zusammengeklappt an die Hauswand, damit die Stufe frei ist für den nachfolgenden Gast. Es war das erste Mal, dass ich in ein solch höher-gelegtes Teehaus krabbeln durfte. Ich war aufgeregt und dankbar für diese Chance und hätte wohl ständig stehen bleiben und schauen und staunen können, aber dafür war keine Zeit. Und so ging alles sehr schnell.
Drinnen blickte ich auf eine Kalligraphie: eine klassische Zenkalligraphie, 一期一会 "one time, one meeting" - zu deutsch "Jeder Augenblick ist einzigartig." Oh - ja... und daneben ein Arrangement von Blumen aus dem Garten. Wir hatten etwas Zeit uns umzusehen, bevor der Meister die Hauptsüßigkeit hineinbrachte. In der Mitte des kleinen 4 1/2 Mattenraumes hing an einem Metallstab mit traditionellem Gußeisernen Fisch ein Wasserkessel. Die Bedeutung des Fischmotivs, auf welches ich immer wiederstoße - ich sage nur Waffelfische - ... ist mir noch immer nicht klar. Hier diente er als Aufhängung. Der Wasselkessel war eigenartig geformt: ein länglicher Zylinder. Er schwebte über glühender Holzkohle und das Wasser darin dampfte.

Dann brachte der Meister die Hauptsüßigkeit herein: Gefärbte süße Bohnenpaste.. soviel weiss ich noch. Davon habe ich mittlerweile soviele in sovielen Varianten gegessen... das Form und Farbe mir entfallen sind. Der Meister ging erneut hinaus, um das Teezubehör zu holen. Wieder war etwas Zeit und es war als ob die Zeit mit jedem Augenblick langsamer verging. Vielleicht war es aber auch nur mein Atem oder mein Herzschlag, der sich allmählich beruhigte... Die Stille, das Geräusch des Wassers, das gedämpfte Licht... kaum vorstellbar, dass wir vor knapp einer halben Stunde noch in der Innenstadt waren. Wir fühlten uns beide wie in eine andere Dimension gebeamt.... Im Raum schwebte das Gefühl des Besonderen, dass uns wohl gleichermaßen ergriff und intuitiv wurden unsere Stimmen andächtiger und ruhiger. Ich war beeindruckt, wie gut dieses alte System uns ``moderne'' Menschen so zielsicher einzufangen vermochte, und dass noch vor dem ersten Schluck....

Der Meister kehrte zurück, plazierte die Gegenstände an geeigneten Plätzen und begann mit der Teezubereitung. Der mir in groben Zügen mittlerweile vertraute Ablauf, entspannte mich. Die sprachliche Verunsicherung wich mehr und mehr und ich war froh meinem Begleiter nun beim ``Übersetzen'' manch umständlich anmutender Abläufe behilflich sein zu können. Ich genoß die geschickten, fließenden Bewegungen dieser erfahrenen Hände und freute mich in dem bekannten Ablauf kleine raffinierte Details zu entdecken - Details, die die einzelnen Schulen voneinander unterschieden und jeder Zeremonie einen doch eigenen Charakter verliehen. Der Tee schmeckte köstlich und in meiner Neugier verlangte ich intuitiv die Teeutensilien nach der Reinigung anschauen zu dürfen. Ich war selbst überrascht, wie gut die Kommunikation in diesem Raum funktionierte - so als gäbe es gar keine sprachliche Hürde... Wir erfuhren dabei, dass der Löffel Teil eines Besens im Tempelkomplex von Nara gewesen sei und ich bewunderte die helle, feine Teeschale, die mich in ihrer Größe, Leichtigkeit und der beige-farbenen, porösen Oberfläche an ein Straußenei erinnerte. Wir plauderten noch ein wenig, bis sich unser Bedürfnis nach Kommunikation erschöpfte und dann bedankten wir uns und krabbelten wieder aus der Luke in den Garten hinaus. Wir traffen uns im Wohnzimmer wieder um noch einige Absprachen für den nächsten Tag zu regeln, dann verließ mich mein Begleiter. Es war nicht sehr spät und mein Gastgeber bot mir an im Wohnzimmer zu bleiben, aber ich fühlte mich müde und satt von dem gerade Erlebten und fast wie nach einem guten Schluck Wein, dessen Geschmack man sich noch eine Weile im Mund bewahren möchte, sehnte ich mich nach einem ruhigen, ungestörten Ausklingen dieses besonderen Abends.
Ich ging in mein Zimmer und schaute mich neugierig um... viel gab es nicht zu sehen: eine Bildnische, ein Tischchen, in der Mitte des Zimmers der aufgebettete Futon und ein größeres Tablett, das die Tatamimatten vor meinem Rucksack schonte. Das Tablett war quasi mein Schrank, denn einen solchen gab es nicht. Wo hätte der auch stehen können - bis auf die Bildnische bestanden alle Wände quasi aus Schiebetüren! Ein Fenster gab es also auch nicht. Ich lugte durch eine Schiebetüre... da war der große Salon... die andere Wand.. ein Korridor.. die nächste Wand.. wieder ein Korridor und durch die vierte Wand bin ich hereingekommen. Ich war dankbar für die Übersichtlichkeit dieses Raumes.
Dann nahm ich mein Waschzeugs und machte mich auf den Weg ins Bad. 1 1/2 Stunden waren vielleicht seit der Hausführung vergangen. Ich versuchte mich zu erinnern, wo das Bad war. Allerdings war nicht nur mein Zimmer umgeben von hübschen, unauffälligen, hölzernen Schiebetüren und so war es schwer im nur indirekt durch Papierwände beschienen Korridor die einzelnen Räume auszumachen. Vorsichtig schob ich die ein oder andere Schiebetür zur Seite, erblickte aber nur diverse Privatgemächer.. Ich kam mir vor wie in einem Schloß mit vielen Türen. Ich irrte noch ein wenig umher, bis meine Unschuld in ein Gefühl von Peinlichkeit umschlug und bat dann den Teemeister mir die rechte Tür zu zeigen.
In der steinernen Badewanne gab es heißes, wohl temperiertes Wasser - welch ein Luxus! Es war nicht spät, als ich zu Bett ging, aber ich war müde und freute mich auf das Bett. Ich schlief prächtig und fühlte mich königlich... Das ist vermutlich das Gefühl, was die ach-so-teuren traditionellen japanischen Gasthäuser versuchen hervorzurufen und wofür man gut und gerne mehr als üblich bereit ist zu bezahlen: eine Nacht im Ryokan - ein kondensierter Urlaub.
Ich wachte entsprechend früh auf und erfreute mich eine ganze Weile an dem Vogelgesang, der von draußen zu hören war. Dann stand ich auf und organisierte meine Sachen für den Tag. Ich war gerade fertig damit, als ich den Teemeister den Flur hinter meinen Wänden entlang schlurfen hörte. Papierwände haben einen sehr eigenen Charme. Mit einer Familie mit kleinen, umher tobenden Kindern mag dieser auf Sichtschutz reduzierte Baustil vielleicht von Nachteil sein, aber an jenem Morgen und in diesem Setting war es ein zauberhaftes Spiel mit der Intimität des anderen: Keine dieser Türen ist abschließbar und wenn ich des nachts Licht an habe, würde mich mein Schatten trotz Sichtschutz verraten....
Aber jetzt war es Tag und ich verfolgte neugierig seine Schritte. Dann hörte ich wie im Korridor die Gardinen geöffnet wurden und das Licht erhellte mein Zimmer. Ich wartete ungeduldig, bis sich die Schritte von meinem Haustrakt entfernten und ich hörte, wie die Schiebetür zum Wohnzimmer zugezogen wurde. Dann öffnete ich meine Schiebetür zum Korridor.... und blickte einen nochmals neuen Garten mit einem riesigen, schneeweiß-blühenden Kirschbaum....
Ich war sehr, sehr glücklich... Frühstück für Augen und Ohren.. mein Magen musste hingegen noch etwas warten, denn bis auf den Tee wird im Hause nichts serviert und die Küche wollte ich nicht benutzen. Der Meister begleitete mich noch in die Innenstadt und zeigte mir einige Teeläden. Mittags traf ich noch den Rest der Familie, u.a. eine hochschwangere Tochter, die Englisch sprach und so konnte ich noch einige Fragen loswerden. Die zweite Nacht schlief ich nicht ganz so gut... aber das lag wohl eher an dem Sake, den ich abends mit meinem Begleiter konsumiert habe, denn an den Qualitäten des Hauses.
Am zweiten Morgen verließ ich das Haus des Teemeisters und ich hatte das Gefühl, unsere Bemühungen miteinander zu kommunizieren, waren doch relativ erfolgreich gewesen und sowohl mein Japanisch, als auch sein Englisch war etwas leichtläufiger, als bei meiner Ankunft.. Ich war - in jeglicher Hinsicht - sehr zufrieden und komme gerne wieder.