Aufbruch
Nun also, nach einigen anstrengenden Wochen, sitze ich im Zug, verlasse das vertraute japanische Heim, dass sich in dieser kurzen Zeit tatsächlich wie ein Heim anfühlt, mit liebenswerten Menschen und noch immer angenehm kleinstädtischer Atmosphäre. Ich hätte gut und gerne meinen Urlaub dort verbringen können, aber die schönen Beschreibungen in meinem Reiseführer und die Tatsache, dass ich schon einen Zugpass gekauft hatte, machten es mir fast unmöglich, am gleichen Ort zu bleiben. Nun denn nach Nächten qualvoller Unentschlossenheit, hat der hohe Norden gewonnen: Hokkaido und ich sitze im Zug dorthin.

Es fiel mir schwer zu gehen. Zwei Wochen habe ich mich Stück für Stück gelöst. Ich habe mich bemüht, für all meine angehäuften Geschenke und Unterlagen eine gute Versandmöglichkeit oder Unterbringung zu finden. Jetzt ist alles verstreut: meine Wintersachen warten in der Wäscherei auf meine Rückkehr, meine Küchenutensilien und weitere Wintersachen sind im Hause meines Betreuers, Geschenke und Andenken reisen vermutlich gerade durch Sibirien ein anderer Teil wartet in meinem Koffer in Tokyo im Hotel darauf, dass ich ihn nächsten Freitag dort abhole. Und dann könnte man meinen, reiste ich nun mit kleinem Gepäck... weit gefehlt... Ich habe wohl etwas verlernt gut zu reisen. Nun denn: learning by doing.



Jetzt gerade sitzte ich auf dem Fussboden auf der Fähre nach Hokkaido. Es ist ein riesiges Schiff für ganz wenige Leute und entsprechend mager ist das Angebot an Verpflegung. Aber die Basics sind wie immer super und für mich völlig ausreichend. Das Beste - und allein dafür liebe ich dieses Land - ein Teppichboden, auf dem man ganz einfach schlafen kann. Man zieht die Schuhe aus und bettet seinen müden Kopf auf kleine lederne Polsterquader. Das auf dem Bodensitzen ist so einfach... Dann gibt es einen Hahn mit Trinkwasser, heisses Wasser und Mikrowellen (eigentlich für das Mikrowellenessen aus den Automaten... aber meinen mitgebrachten Reis haben sie auch anstandslos erhitzt). Nach Hokkaido kann man auch per Zug durch den 58km langen Seikan-Tunnel gelangen. Mit 140m, ist er laut Reiseführer der tiefgelegenste und längste Unterwassertunnel der Welt. Ich mag Tunnel nicht besonders und die Vorstellung 140m unter Wasser zu reisen, macht mir Beklemmungen. Aber ich gebe zu, ich wollte Geld sparen und habe deshalb die Fähre gewählt. Hätte ich gewusst, dass die Busse vom Bahnhof zur Fähre so ungünstig fahren, dass man ein Taxi nehmen muss, wenn man mit dem Gepäck nicht eine halbe Stunde oder länger wandern will - hätte ich es mir wahrscheinlich anders überlegt. Der Preis war letztendlich der gleiche, aber die Zeit doppelt so lang. Dafür ist es ein gemütliches Reisen mit Sonnenuntergang überm Meer und Sitzen auf dem Teppichboden.

Dies ist nun endlich mein langersehnter - nächtelang geplanter Urlaub, auf den ich sehr gespannt bin. Zum einen habe ich gefühlt seit zwei Jahren keinen Urlaub mehr gemacht, zum anderen habe ich mich selten so sehr mit einer Entscheidung gequält, wie mit dieser. Vielleicht weil es darauf hinausläuft sich zwischen zwei wohlschmeckenden Äpfeln zu entscheiden, der eine etwas teurer, aber etwas größer, der andere etwas bescheidener, aber angeblich von ebenso ausgezeichnetem Geschmack. Vielleicht entscheidet in dem Fall ganz einfach der Appetit. Ich hatte demnach Hunger auf eine weite Reise und der Name Hokkaido steht für Wildnis, grandiose Landschaft, aktive Vulkane und eben auch für Weite. Bei meiner Planung hatte ich etwas unterschätzt, dass dieses Inselchen die Größe von Irland hat - also eigentlich ein Land für sich ist. Ich habe mich immer über die langen Zugfahrzeiten gewundert, aber im Reiseführer gibt es kein gesondertes Kapitel für dieses Land und der Maßstab der Karte ist vermutlich daher ein anderer als für andere Regionen. Aber das ist mir erst heute aufgefallen.

Zwei Taxifahrten habe ich heute schon hinter mir. Das entspricht ungefähr der Gesamtanzahl der Taxifahrten in meinen letzten drei Jahren, will heißen ich fahre eigentlich nie Taxi. Aber hier war es schon ein Erlebnis. Natürlich waren sie sehr höflich und ich war etwas überrascht über die Automatiktür, die auf und zu ging. Am besten fand ich aber die weissen Spitzenhäubchen auf den Sitzen und auf der Rückbank. Die waren allerliebst.

Mein erstes Ziel ist Hakodate, eine Hafenstadt im Kolonialstil, dessen Fischmarkt ich jetzt erstmal erkunden werde.
Auf die Geschichte müsst ihr allerdings evt. noch ein Weilchen warten, denn danach geht es in der Wald, fernab der Zivilisation und auch fernab der Mobilfunk- und Internetnetze. Ich werde bei einer Familie mit drei Kindern wohnen und deren Alltag miterleben und dies und anderes aufgeschobenes Euch berichten, wenn ich nächste Woche wieder im heimatlichen Deutschland gelandet bin.