Sonntag, 13. April 2014
Eisgekühlte Nudeln, Bento Box und Sahneschwarte
Nach gut vier Wochen geschmacklichem Abenteuerurlaub, möchte ich ein paar Worte zum Essen verlieren. Über die Süßigkeiten habe ich mich ja hin- und wieder ausgelassen - die Hauptgerichte sind aber auch nicht ohne! Wer gerade einen leeren Magen hat, sollte sich vorher was zu Essen holen, wem Geschichten übers Essen zuwider sind, sollte diesen Beitrag überspringen. Allen anderen wünsche ich Viel Spaß beim Lesen.
Nach den vielen Eindrücken der Teezeremonie gestern mittag, beschloß ich, mich in dem Park-Cafe-Restaurant vor meiner Haustür bekochen zu lassen. Das Restaurant hat einen guten Ruf, soll auch nicht ganz billig sein, aber ich bekomme angeblich Nachbarschaftsrabatt. Da alles gut aussah, habe ich wahllos auf ein Bild gezeigt und dann den Blick aufs Wasser und die Stille dieses angenehmen Lokals genossen.

Kurz darauf stand das Menü vor mir. Die japanische Küche erinert etwas an die Spanische: es gibt immer viele verschiedene kleine Köstlichkeiten. Hier gab es Tempura: allerlei in Teig Frittiertes - Kürbis, Süßkartoffel, Aubergine, eine Garnele war auch dabei. Daneben liegt ein Stück gegrillter Fisch mit frischem Grün drapiert. Darunter die hierzulande obligatorischen meist in Pflaumenessig sauer eingelegten Gemüsestückchen (Pickles). In diesem Fall handelt es sich - passend zur Kirschblütenzeit um roten Rettich und rechts oben der weiße Berg.... Nudeln. Im Nachhinein weiss ich, es waren Zaru-Udon: kalte, dicke Weizennudeln auf einem Bambussieb (Zaru).
Man muss wissen, die Japaner haben ein Faible für Kaltes. Ich mag ja auch gern Eiscreme, aber hier sind sie nahezu fanatisch darauf erpicht, wenn es darum geht Getränke oder Essen zu kühlen. Wasser kommt immer mit Eiswürfeln, die Thermoskannen habe ein Extrasieb für Eiswürfel und beim Bier wird mit der Temperatur geworben - je kühler je besser. Vor zwei Jahren kam die Kirin Brauerei auf die Idee, Bierschaum Schockzugefrieren, damit dieser die Form behält und wie ein Deckel auf dem Bier, das Bier vorm Warmwerden bewahrt (siehe hier...)

Gut, ich habe die Sommer hier noch nicht erlebt und weiss nicht, wie notwendig diese Maßnahme ist. In Deutschland kann ich gerne den ganzen Sommer heißes Wasser trinken, das muss den Japanern sehr merkwürdig erscheinen. Wie dem auch sei - ich war jedenfalls etwas überrascht unter den kalten Nudeln Eiswürfel zu finden. Die Soße, in die ich die Nudeln (intuitiv richtig) eingetunkt habe, war logischerweise auch kalt. Die Konsistenz der Nudeln hat mich etwas an Tintenfisch erinnert, etwas zäh aber irgendwie lecker. Die Udons muss ich nochmal wo anders probieren, gerne auch warm, bevor ich mir eine Meinung dazu bilde.

Im Anschluß gab es noch einen Kaffee. Es war mein dritter Kaffee seit meiner Aknunft, sprich seit 4 Wochen, und ich muss sagen, ich habe nicht einmal in Italien einen so intensiven, aromatischen, wenn auch vergleichsweise säuerlichen Kaffee gehabt, wie hier. Der Kaffee ist recht teuer (etwa 2,50 bis 3,-Euro für Cafe Creme) und ich vermute sie verwenden hier Bohnen mit einem höheren Säureanteil als die Standardbohne in Deutschland ihn hat. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber dann sehr lecker und an Intensität einem Matchatee keineswegs nachstehend.

Das Mahl war lecker und eine gute Abwechslung zu meinen privaten Gemüseexperimenten. Und weil es gerade passt, hier noch ein Bild meiner ersten Bento-Box, die ich mir in einem Laden nach einem ähnlich blinden Auswahlverfahren habe zusammenstellen lassen:
Hier hatte ich allerdings so eine Art Schweine-Schnitzel erwischt, ein kleines Häufchen Nudelsalat, ein Häufchen Kartoffelsalat, zwei kleine Quader Rührei, zwei Scheibchen saurer weisser Rettich, ein paar Fäden geraspelter Kohl und Möhren und natürlich Reis mit schwarzem Sesam obendrauf. Die Schnitzelchen waren anfangs noch warm, aber bis ich zu Hause war, waren sie schon kalt. Was nicht schlimm ist, denn das Essen in der BentoBox kann man warm oder kalt essen. Es gibt sie in zahlreichen Variationen, mit Fisch, ohne Fisch, groß wie hier oder nur halb oder viertel so groß. Man kann sie in kleinen Läden kaufen, wo sie frisch und z.T. nach Wunsch zusammengestellt werden. Die sind manchmal angeschlossen an eine Metzgerei, muss aber nicht. Man kann sie im Kühlregal im Supermarkt oder im Spätkauf finden, in Automaten, in U-Bahnhöfen - es gibt speziell für die Shinkansen konzipierte Boxen - kurz... BentoBoxen gibt es einfach überall, zu jeder Zeit und in unzähligen Variationen. Der Preis variiert auch entsprechend von Subway-Sandwich über Kantinenmahlzeit hin zu Businesslunch. Ich mag die Boxen mit in süßem Rührei eingewickeltem Reisbällchen ganz gern. Die BentoBox ist quasi das Pendant zu unserer Stulle in der Brotbüchse. Sie ist entstanden zur Verpflegung unterwegs oder tagsüber auf dem Feld. Früher pflegten die Frauen und Mütter kleine Holzboxen für ihre Liebsten mit allerlei Leckereien zu befüllen - aber heutzutage fehlt vielen die Zeit dafür. Allenfalls Schulkinder und Angehörige von BentoBox-Liebhabern profitieren noch von dieser Tradition.

Was alle unteren Preisklassen aber gemein haben: sie erzeugen unglaublich viel Müll. Es sind immer Plastikboxen in Plastiktüten, meist noch mit einem grünen Dekogras zwischen dem Essen, manchmal mit kleinen Sojasoßenfläschen und standardgemäß mit einer feuchten Serviette und einem Paar Holzstäbchen versehen, damit man sich sofort damit auf die nächste Wiese zum Picknicken setzen kann. Sehr verführerisch, diese praktische, vielfältige, allgegenwärtige und günstige Verpflegungsoption.

Was mich in Punkto Essen bislang aber am meisten beeindruckt und mir eine sehr offene Haltung gegenüber den lokalen Speisen, insbesondere gegenüber den Fleischgerichten, beschert hat, war ein Stückchen Schweinefleisch in Soße, dass mein Betreuer für mich bei unserem ersten gemeinsamen Abendessen bestellte. Man muss wissen, ich ernähre mich zunehmend vegan, bin aber keineswegs dogmatisch. Milch vertrage ich manchmal nicht so gut und bei Fleisch bin ich schlichtweg sehr mäkelig was die Konsistenz und die Tierhaltung betrifft. Als Kind konnte ich meinen Vater in die Verzweiflung stürzen, wenn ich anfing mein Schnitzel von alledem zu befreien, was ich als eckelig empfand. Das kleine, rechteckige Mittelstückchen, was dabei noch übrig blieb, war meist kaum der Rede wert und irgendwann habe ich aufgehört mir diese Arbeit zu machen. Vielleicht könnt ihr Euch vorstellen, was ich empfand, als mir mein Betreuer folgendes Gericht aufmunternd zuschob:
Ich musste mich stark zusammenreissen, um meinen Würgreflex zu unterdrücken. Wir hatten schon ein großes ``Schiff'' mit diversem, sehr feinen, rohen Fisch verspeist, sowie einen Teller mit frittierten Bergblumenknospen, kleine, gekochte Pilzchen und wilde Bergpflanzensprossen. Dazu gab es einen sehr milden und aromatischen Sake - Kurz, ich hatte schon einen Marathon an geschmacklichen Neuentdeckungen hinter mir und konnte mich so ziemlich allen seinen Empfehlungen nur anschließen. Und nun dieses Stückchen Fleisch, dass ich als Schwarte bezeichnen würde, so fettig sah es aus. Er lobte es in den höchsten Tönen und ich war trotz meines Ekels - neugierig auf dieses Geschmackserlebnis. Also machte ich die Augen zu, klemmte die Schwarte zwischen die Stäbchen und balancierte sie in meinen Mund.... Ich glaube ich hatte selten so eine starke Diskrepanz zwischen meiner Erwartung und meiner tatsächlichen Wahrnehmung erlebt: das Schweinefleisch hatte die Konsistenz einer Sahnetorte und schmeckte süßlich, aromatisch, wie ein würziges Karamellbonbon! Ich war sprachlos. Sollte ich in meinem nächsten Leben als Schwein wiedergeboren werden... dann Bitte, Bitte in Japan! - schoss es mir durch den Kopf, während das Karamell in meinem Mund langsam dahin schmolz. Oh könnten doch alle fleischverarbeitenden Menschen das Talent besitzen, das Fleisch des Tieres auf solch delikate Weise zu veredeln - an dem Geschmack kann man sich mindestens ein, wenn nicht noch mehr Monate erfreuen.



Der alte Garten
Im Anschluß an das gute Mahl im Park-Restaurant Samstag nachmittag, habe ich beschlossen, endlich das Museum um die Ecke zu besichtigen. Meine Japanischlehrerin hat mich neugierig gemacht, mit der Aussage, dass ein altes Farmhaus aus der Gegend in der sie aufgewachsen ist, dorthin versetzt wurde und ich wollte sehen, wie die alten Bauernhäuser in Japan aussahen. Es war schon reichlich spät, aber die Frau an der Kasse versicherte mir, die verbleibende Stunde bis zum Toresschluß reiche völlig für das Museum. Ich war skeptisch, aber ging trotzdem rein.

Das Haus und das Grundstück gehört der Familie, die lange Zeit hier geherrscht hat und 1950 ihren Familienbesitz, inklusive Garten, in einer Art Heimatmuseum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Drinnen durfte man keine Fotos machen, leider, sonst hätte ich die aus alten Kimonofäden gewebten Fischer- und Bauernkluften fotografiert - die waren beeindruckend schön. In dem zeitlos schlichten Design hätte die Kollektion auch gut in einen gehobeneren Kreuzberger Laden gepasst. Beim späteren Recherchieren habe ich gelernt, dass die Idee des Wiederverwertens von Dingen hierzulande einen Namen hat: Mottainai! und auch, dass dieses alte Handwerk auch andere Menschen derart begeistert hat, dass sie diese Tradition des Verwebens alter Fäden wieder aufgegriffen und wiederbelebt haben.

Auch die Flechtkunst, mit der sie diverse kleine Behältnisse, wie z.B. BentoBoxen! herstellen, war interessant, auch weil sie diese hinterher lackierten. Es gab eine große Sammlung verschiedenster geflochtener Reusen der Fischer und eine Sammlung sehr schöner, langer Bambusrouten. Der Landlord hatte seinen Samurei nahegelegt doch Fischfang zu betreiben, um ihre martialen Fähigkeiten weiter zu trainieren ohne ständig kämpfen zu müssen. Statt einem Schwert bekamen sie eine lange Rute aus Bambus, für die die gleichen ehrenvollen Umgangsformen galten, wie für ihr Schwert. Diese schlichten, schätzungsweise 4-5m langen Routen waren sehr schön und erinnerten mich ein wenig an die Sammlung von Holzbögen eines begnadeten Berliner Bogenbauers. Das Bild daneben brachte mich zum Schmunzeln. Es zeigte die Garde kräftiger, junger Samurei in schicken Trachten, die - ein jeder mit seiner langen Bambusroute auf einem Fels im Wasser stehend - angelten... Das war irgendwie "niedlich".
Im Garten habe ich enthemmt durch eine kleine Gruppe Japanerinnen, die munter alles fotografierten - mich inklusive - dann doch die Kamera gezückt und einige, scheue Fotos gemacht. Hier eines von dem japanischen Bauernhaus, für das mir leider kaum mehr Zeit blieb. Alles was ich davon im Schnelldurchlauf mitbekommen habe, war der intensiv-rauchige Geruch und die Schwärze des Rußes überall, denn drinnen gab es zwar Feuerstellen, aber keinen offensichtlichen Abzug, wie in unseren Häusern. Vielleicht, wie immer versteckt? Dass muss ich mir ein andermal nochmal genauer anschauen.
Der alte Kirschbaum links daneben ist von der knorrigen Sorte, wie sie auch im Park vielfach zu finden sind. Und wie seine Kollegen, ist auch dieser hier, sehr alt und innen hohl. Er besteht quasi aus nichts außer der Hülle eines Baumes und erblüht dennoch alljährlich in jugendlich-zartem Rosa.
Der Teich gehört zu dem alten Garten, der selbst nicht wirklich groß ist, und doch sehr, sehr kompakt und schön. Ich habe einen wunderbaren Zeitpunkt abgepasst, ihn zu entdecken, denn der alte Kirschbaum stand in voller Blüte.
Den schönsten Blick auf den Garten hatte ich jedoch aus jenem alten Holzhaus heraus:
Der Eingang befindet sich an der dem Garten abgewandten Seite und man musste - wie so oft - die Schuhe ausziehen. Meine Wanderschuhe sind was das betrifft denkbar unpraktisch, aber der Aufwand hat sich gelohnt, denn nun durfte ich auf jahrhunderte alten, schon weich getretenen Tatamimatten umherwandeln. Wieviele Füße sind hier schon entlang geschlurft? Unzählige... und jeder einzelne hat das Stroh etwas weicher werden lassen. Ein angenehmes Gefühl und ich schritt ganz vorsichtig, fast erfurchtsvoll von Matte zu Matte. Vielleicht, weil ich durch meine Füße das Alter dieser Matten und dieses Hauses direkt spüren konnte... und die leblosen Dinge und beschriebenen Geschichten so etwas lebendiger wurden. Oder weil mich der angenehm weiche und warme Boden einfach hat sinnlich offener werden lassen - wer weiss. Ich war auf jedenfalls sehr angetan von dem Raum, dem Geruch, der Stille und als ich durch eine der Schiebetüren nach draußen den Garten erblickte, blieb ich offenen Mundes stehen und sank hypnotisiert zu Boden. Der alte Garten erschlug mich förmlich und ich trank durstig mit meinen Augen die Farben und Formen dieses Ensembles: das flache Türkis des Teichs, das rauhe Grau der kleinen Brücke, das markant in einem kräftigen Bogen gezähmte Rotbraun der Kiefer, dazwischen das Grün der sanft geschwungenen Büsche und Hügel und zu alledem das zarte Rosa der unzähligen Blüten des seit Jahrhunderten alljährlich erblühenden und liebevoll in Szene gesetzten alten Kirschbaums.
Ich bin dankbar für diese Minuten, in denen ich mich in Stille und ungestört diesem Anblick hingeben durfte, und meine Achtung vor diesem schönen Miteinander war offensichtlich so groß, dass selbst mein unermüdlich analysierender Verstand es unterlassen hat, das Erblickte in Einzelteile zu zerlegen und stattdessen respektvoll schwieg.



Unter Frauen...
Gestern morgen war es endlich soweit: mein erster Teeunterricht in einer Gruppe Japanerinnen! Meine Vorführung am Mittwoch abend hatte ausgereicht, dass ich gestern in den Gruppenunterricht durfte.

Wir waren etwa 10 Frauen bunt gemischt von schätzungsweise 27 bis 72 und übten in zwei großen Teeräumen. Ich war von der Örtlichkeit allein schon beeindruckt: Tatamimatten, Schiebetüren, ein raffiniertes rundes Fenster, die Kalligraphie, das Blumengesteck und nicht zuletzt der Kessel, der geruchs- und geräuschlos mit Holzkohle betrieben wurde... und das ganze gleich in zweifacher Ausführung! Soviel ästethische und interessante Details wollte ich erstmal verarbeiten. Dazu kam ich aber gar nicht, denn die Frauen kamen mehr oder weniger alle nacheinander und jeder einzelnen wurde ich vorgestellt, bzw. musste ich mich vorstellen... Name... woher.. warum hier. Ich war die Attraktion und die Frauen waren sehr beeindruckt, dass im fernen Deutschland auch Teezermonie auf Tatamimatten unterrichtet wird, dass ich Tatamimatten zu Hause habe und dass mir ein deutscher Lehrer so etwas so gut beibringen konnte. Zu gern hätte ich mehr erzählt oder nachgefragt - fühlte mich aber sprachlich reichlich behindert und von ihren neugierigen Fragen latent überfordert. Schade, aber die Kommunikation muss leider warten.. Ich verschob alle Fragen auf ein andermal, übte mich vielfach im Verbeugen und Danke sagen und genoß es, wenn ich einfach still am Rande zusehen durfte ohne Mittelpunkt des Gesprächs zu sein. Trotzdem habe ich mich sehr wohl gefühlt dort unter den Frauen, deren Worte ich zwar nicht verstand, aber denen ich mich jenseits dessen doch irgendwie sehr verwandt fühlte. Mag sein, dass es daran lag, dass sie genau wie ich Schritte, Abfolgen und Sätze lernen mussten. Die Sprache, die in der Teezermonie verwendet wird, ist ein sehr altes Japanisch... kein Wunder dass manchmal die Menschen im Restaurant oder auf der Straße schmunzeln, wenn ich mich auf die höflichste Art und Weise bei Ihnen für eine Kleinigkeit bedanke. Aber gut, besser so als andersherum. Jedenfalls freue ich mich auf ein langsames Hineinwachsen und Vertrautwerden mit dieser Gruppe Frauen... meine Motivation Grammatik zu pauken ist seit Mittwoch auf jeden Fall stark gestiegen und ich habe mir ein Buch besorgt und die ersten Lektion heute durchgearbeitet.