Eisgekühlte Nudeln, Bento Box und Sahneschwarte
Nach gut vier Wochen geschmacklichem Abenteuerurlaub, möchte ich ein paar Worte zum Essen verlieren. Über die Süßigkeiten habe ich mich ja hin- und wieder ausgelassen - die Hauptgerichte sind aber auch nicht ohne! Wer gerade einen leeren Magen hat, sollte sich vorher was zu Essen holen, wem Geschichten übers Essen zuwider sind, sollte diesen Beitrag überspringen. Allen anderen wünsche ich Viel Spaß beim Lesen.
Nach den vielen Eindrücken der Teezeremonie gestern mittag, beschloß ich, mich in dem Park-Cafe-Restaurant vor meiner Haustür bekochen zu lassen. Das Restaurant hat einen guten Ruf, soll auch nicht ganz billig sein, aber ich bekomme angeblich Nachbarschaftsrabatt. Da alles gut aussah, habe ich wahllos auf ein Bild gezeigt und dann den Blick aufs Wasser und die Stille dieses angenehmen Lokals genossen.

Kurz darauf stand das Menü vor mir. Die japanische Küche erinert etwas an die Spanische: es gibt immer viele verschiedene kleine Köstlichkeiten. Hier gab es Tempura: allerlei in Teig Frittiertes - Kürbis, Süßkartoffel, Aubergine, eine Garnele war auch dabei. Daneben liegt ein Stück gegrillter Fisch mit frischem Grün drapiert. Darunter die hierzulande obligatorischen meist in Pflaumenessig sauer eingelegten Gemüsestückchen (Pickles). In diesem Fall handelt es sich - passend zur Kirschblütenzeit um roten Rettich und rechts oben der weiße Berg.... Nudeln. Im Nachhinein weiss ich, es waren Zaru-Udon: kalte, dicke Weizennudeln auf einem Bambussieb (Zaru).
Man muss wissen, die Japaner haben ein Faible für Kaltes. Ich mag ja auch gern Eiscreme, aber hier sind sie nahezu fanatisch darauf erpicht, wenn es darum geht Getränke oder Essen zu kühlen. Wasser kommt immer mit Eiswürfeln, die Thermoskannen habe ein Extrasieb für Eiswürfel und beim Bier wird mit der Temperatur geworben - je kühler je besser. Vor zwei Jahren kam die Kirin Brauerei auf die Idee, Bierschaum Schockzugefrieren, damit dieser die Form behält und wie ein Deckel auf dem Bier, das Bier vorm Warmwerden bewahrt (siehe hier...)

Gut, ich habe die Sommer hier noch nicht erlebt und weiss nicht, wie notwendig diese Maßnahme ist. In Deutschland kann ich gerne den ganzen Sommer heißes Wasser trinken, das muss den Japanern sehr merkwürdig erscheinen. Wie dem auch sei - ich war jedenfalls etwas überrascht unter den kalten Nudeln Eiswürfel zu finden. Die Soße, in die ich die Nudeln (intuitiv richtig) eingetunkt habe, war logischerweise auch kalt. Die Konsistenz der Nudeln hat mich etwas an Tintenfisch erinnert, etwas zäh aber irgendwie lecker. Die Udons muss ich nochmal wo anders probieren, gerne auch warm, bevor ich mir eine Meinung dazu bilde.

Im Anschluß gab es noch einen Kaffee. Es war mein dritter Kaffee seit meiner Aknunft, sprich seit 4 Wochen, und ich muss sagen, ich habe nicht einmal in Italien einen so intensiven, aromatischen, wenn auch vergleichsweise säuerlichen Kaffee gehabt, wie hier. Der Kaffee ist recht teuer (etwa 2,50 bis 3,-Euro für Cafe Creme) und ich vermute sie verwenden hier Bohnen mit einem höheren Säureanteil als die Standardbohne in Deutschland ihn hat. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber dann sehr lecker und an Intensität einem Matchatee keineswegs nachstehend.

Das Mahl war lecker und eine gute Abwechslung zu meinen privaten Gemüseexperimenten. Und weil es gerade passt, hier noch ein Bild meiner ersten Bento-Box, die ich mir in einem Laden nach einem ähnlich blinden Auswahlverfahren habe zusammenstellen lassen:
Hier hatte ich allerdings so eine Art Schweine-Schnitzel erwischt, ein kleines Häufchen Nudelsalat, ein Häufchen Kartoffelsalat, zwei kleine Quader Rührei, zwei Scheibchen saurer weisser Rettich, ein paar Fäden geraspelter Kohl und Möhren und natürlich Reis mit schwarzem Sesam obendrauf. Die Schnitzelchen waren anfangs noch warm, aber bis ich zu Hause war, waren sie schon kalt. Was nicht schlimm ist, denn das Essen in der BentoBox kann man warm oder kalt essen. Es gibt sie in zahlreichen Variationen, mit Fisch, ohne Fisch, groß wie hier oder nur halb oder viertel so groß. Man kann sie in kleinen Läden kaufen, wo sie frisch und z.T. nach Wunsch zusammengestellt werden. Die sind manchmal angeschlossen an eine Metzgerei, muss aber nicht. Man kann sie im Kühlregal im Supermarkt oder im Spätkauf finden, in Automaten, in U-Bahnhöfen - es gibt speziell für die Shinkansen konzipierte Boxen - kurz... BentoBoxen gibt es einfach überall, zu jeder Zeit und in unzähligen Variationen. Der Preis variiert auch entsprechend von Subway-Sandwich über Kantinenmahlzeit hin zu Businesslunch. Ich mag die Boxen mit in süßem Rührei eingewickeltem Reisbällchen ganz gern. Die BentoBox ist quasi das Pendant zu unserer Stulle in der Brotbüchse. Sie ist entstanden zur Verpflegung unterwegs oder tagsüber auf dem Feld. Früher pflegten die Frauen und Mütter kleine Holzboxen für ihre Liebsten mit allerlei Leckereien zu befüllen - aber heutzutage fehlt vielen die Zeit dafür. Allenfalls Schulkinder und Angehörige von BentoBox-Liebhabern profitieren noch von dieser Tradition.

Was alle unteren Preisklassen aber gemein haben: sie erzeugen unglaublich viel Müll. Es sind immer Plastikboxen in Plastiktüten, meist noch mit einem grünen Dekogras zwischen dem Essen, manchmal mit kleinen Sojasoßenfläschen und standardgemäß mit einer feuchten Serviette und einem Paar Holzstäbchen versehen, damit man sich sofort damit auf die nächste Wiese zum Picknicken setzen kann. Sehr verführerisch, diese praktische, vielfältige, allgegenwärtige und günstige Verpflegungsoption.

Was mich in Punkto Essen bislang aber am meisten beeindruckt und mir eine sehr offene Haltung gegenüber den lokalen Speisen, insbesondere gegenüber den Fleischgerichten, beschert hat, war ein Stückchen Schweinefleisch in Soße, dass mein Betreuer für mich bei unserem ersten gemeinsamen Abendessen bestellte. Man muss wissen, ich ernähre mich zunehmend vegan, bin aber keineswegs dogmatisch. Milch vertrage ich manchmal nicht so gut und bei Fleisch bin ich schlichtweg sehr mäkelig was die Konsistenz und die Tierhaltung betrifft. Als Kind konnte ich meinen Vater in die Verzweiflung stürzen, wenn ich anfing mein Schnitzel von alledem zu befreien, was ich als eckelig empfand. Das kleine, rechteckige Mittelstückchen, was dabei noch übrig blieb, war meist kaum der Rede wert und irgendwann habe ich aufgehört mir diese Arbeit zu machen. Vielleicht könnt ihr Euch vorstellen, was ich empfand, als mir mein Betreuer folgendes Gericht aufmunternd zuschob:
Ich musste mich stark zusammenreissen, um meinen Würgreflex zu unterdrücken. Wir hatten schon ein großes ``Schiff'' mit diversem, sehr feinen, rohen Fisch verspeist, sowie einen Teller mit frittierten Bergblumenknospen, kleine, gekochte Pilzchen und wilde Bergpflanzensprossen. Dazu gab es einen sehr milden und aromatischen Sake - Kurz, ich hatte schon einen Marathon an geschmacklichen Neuentdeckungen hinter mir und konnte mich so ziemlich allen seinen Empfehlungen nur anschließen. Und nun dieses Stückchen Fleisch, dass ich als Schwarte bezeichnen würde, so fettig sah es aus. Er lobte es in den höchsten Tönen und ich war trotz meines Ekels - neugierig auf dieses Geschmackserlebnis. Also machte ich die Augen zu, klemmte die Schwarte zwischen die Stäbchen und balancierte sie in meinen Mund.... Ich glaube ich hatte selten so eine starke Diskrepanz zwischen meiner Erwartung und meiner tatsächlichen Wahrnehmung erlebt: das Schweinefleisch hatte die Konsistenz einer Sahnetorte und schmeckte süßlich, aromatisch, wie ein würziges Karamellbonbon! Ich war sprachlos. Sollte ich in meinem nächsten Leben als Schwein wiedergeboren werden... dann Bitte, Bitte in Japan! - schoss es mir durch den Kopf, während das Karamell in meinem Mund langsam dahin schmolz. Oh könnten doch alle fleischverarbeitenden Menschen das Talent besitzen, das Fleisch des Tieres auf solch delikate Weise zu veredeln - an dem Geschmack kann man sich mindestens ein, wenn nicht noch mehr Monate erfreuen.