Der alte Garten
Im Anschluß an das gute Mahl im Park-Restaurant Samstag nachmittag, habe ich beschlossen, endlich das Museum um die Ecke zu besichtigen. Meine Japanischlehrerin hat mich neugierig gemacht, mit der Aussage, dass ein altes Farmhaus aus der Gegend in der sie aufgewachsen ist, dorthin versetzt wurde und ich wollte sehen, wie die alten Bauernhäuser in Japan aussahen. Es war schon reichlich spät, aber die Frau an der Kasse versicherte mir, die verbleibende Stunde bis zum Toresschluß reiche völlig für das Museum. Ich war skeptisch, aber ging trotzdem rein.

Das Haus und das Grundstück gehört der Familie, die lange Zeit hier geherrscht hat und 1950 ihren Familienbesitz, inklusive Garten, in einer Art Heimatmuseum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Drinnen durfte man keine Fotos machen, leider, sonst hätte ich die aus alten Kimonofäden gewebten Fischer- und Bauernkluften fotografiert - die waren beeindruckend schön. In dem zeitlos schlichten Design hätte die Kollektion auch gut in einen gehobeneren Kreuzberger Laden gepasst. Beim späteren Recherchieren habe ich gelernt, dass die Idee des Wiederverwertens von Dingen hierzulande einen Namen hat: Mottainai! und auch, dass dieses alte Handwerk auch andere Menschen derart begeistert hat, dass sie diese Tradition des Verwebens alter Fäden wieder aufgegriffen und wiederbelebt haben.

Auch die Flechtkunst, mit der sie diverse kleine Behältnisse, wie z.B. BentoBoxen! herstellen, war interessant, auch weil sie diese hinterher lackierten. Es gab eine große Sammlung verschiedenster geflochtener Reusen der Fischer und eine Sammlung sehr schöner, langer Bambusrouten. Der Landlord hatte seinen Samurei nahegelegt doch Fischfang zu betreiben, um ihre martialen Fähigkeiten weiter zu trainieren ohne ständig kämpfen zu müssen. Statt einem Schwert bekamen sie eine lange Rute aus Bambus, für die die gleichen ehrenvollen Umgangsformen galten, wie für ihr Schwert. Diese schlichten, schätzungsweise 4-5m langen Routen waren sehr schön und erinnerten mich ein wenig an die Sammlung von Holzbögen eines begnadeten Berliner Bogenbauers. Das Bild daneben brachte mich zum Schmunzeln. Es zeigte die Garde kräftiger, junger Samurei in schicken Trachten, die - ein jeder mit seiner langen Bambusroute auf einem Fels im Wasser stehend - angelten... Das war irgendwie "niedlich".
Im Garten habe ich enthemmt durch eine kleine Gruppe Japanerinnen, die munter alles fotografierten - mich inklusive - dann doch die Kamera gezückt und einige, scheue Fotos gemacht. Hier eines von dem japanischen Bauernhaus, für das mir leider kaum mehr Zeit blieb. Alles was ich davon im Schnelldurchlauf mitbekommen habe, war der intensiv-rauchige Geruch und die Schwärze des Rußes überall, denn drinnen gab es zwar Feuerstellen, aber keinen offensichtlichen Abzug, wie in unseren Häusern. Vielleicht, wie immer versteckt? Dass muss ich mir ein andermal nochmal genauer anschauen.
Der alte Kirschbaum links daneben ist von der knorrigen Sorte, wie sie auch im Park vielfach zu finden sind. Und wie seine Kollegen, ist auch dieser hier, sehr alt und innen hohl. Er besteht quasi aus nichts außer der Hülle eines Baumes und erblüht dennoch alljährlich in jugendlich-zartem Rosa.
Der Teich gehört zu dem alten Garten, der selbst nicht wirklich groß ist, und doch sehr, sehr kompakt und schön. Ich habe einen wunderbaren Zeitpunkt abgepasst, ihn zu entdecken, denn der alte Kirschbaum stand in voller Blüte.
Den schönsten Blick auf den Garten hatte ich jedoch aus jenem alten Holzhaus heraus:
Der Eingang befindet sich an der dem Garten abgewandten Seite und man musste - wie so oft - die Schuhe ausziehen. Meine Wanderschuhe sind was das betrifft denkbar unpraktisch, aber der Aufwand hat sich gelohnt, denn nun durfte ich auf jahrhunderte alten, schon weich getretenen Tatamimatten umherwandeln. Wieviele Füße sind hier schon entlang geschlurft? Unzählige... und jeder einzelne hat das Stroh etwas weicher werden lassen. Ein angenehmes Gefühl und ich schritt ganz vorsichtig, fast erfurchtsvoll von Matte zu Matte. Vielleicht, weil ich durch meine Füße das Alter dieser Matten und dieses Hauses direkt spüren konnte... und die leblosen Dinge und beschriebenen Geschichten so etwas lebendiger wurden. Oder weil mich der angenehm weiche und warme Boden einfach hat sinnlich offener werden lassen - wer weiss. Ich war auf jedenfalls sehr angetan von dem Raum, dem Geruch, der Stille und als ich durch eine der Schiebetüren nach draußen den Garten erblickte, blieb ich offenen Mundes stehen und sank hypnotisiert zu Boden. Der alte Garten erschlug mich förmlich und ich trank durstig mit meinen Augen die Farben und Formen dieses Ensembles: das flache Türkis des Teichs, das rauhe Grau der kleinen Brücke, das markant in einem kräftigen Bogen gezähmte Rotbraun der Kiefer, dazwischen das Grün der sanft geschwungenen Büsche und Hügel und zu alledem das zarte Rosa der unzähligen Blüten des seit Jahrhunderten alljährlich erblühenden und liebevoll in Szene gesetzten alten Kirschbaums.
Ich bin dankbar für diese Minuten, in denen ich mich in Stille und ungestört diesem Anblick hingeben durfte, und meine Achtung vor diesem schönen Miteinander war offensichtlich so groß, dass selbst mein unermüdlich analysierender Verstand es unterlassen hat, das Erblickte in Einzelteile zu zerlegen und stattdessen respektvoll schwieg.