Teezeremonie, die 2. - Im Hause des Teemeisters
Zu Ostern habe ich einen Ausflug in große Stadt auf der anderen Küstenseite gemacht. Es war ein etwas übereilter Ausflug, gebucht an einem grauen, einsamen Tag der Sorte ``Lost in Translation'', von denen es zwei Wochen nach meiner Ankunft einige gab. Ich kann mich in der Regel sehr schlecht entscheiden, aber als ich im Internet diese Unterkunft fand, habe ich sofort gebucht. Als ``Amazing BIG traditional japanese House'' wurde es angepriesen - und das war es auch. Ich erreichte die Unterkunft erst abends um acht, als es schon ganz dunkel war. Dankenswerterweise hat mich mein Kollege, dessen Besuch der eigentliche Anlass meines Ausflugs war, mit dem Auto in den reichlich abgelegen Vorort gebracht. Sein Angebot mir beim Check-In sprachlich zur Seite zu stehen habe ich dankbar angenommen. Ich weiss nicht, was ich ohne ihn gemacht hätte... Selbst wenn ich im Dunkeln per Stadtplan das Haus gefunden hätte, ich hätte nicht einmal das Namensschild entziffern können....Kikuchi.
Eine hohe Betonmauer zur Straße hin verunmöglichte die Sicht auf das dahinterliegende Refugium. Auf unser Klingeln hin öffnete sich ein großes Automatik-Tor und der Hausherr - ein älterer Herr von etwa 60 Jahren mit runden, sehr freundlich dreinblickenden dunklen Augen empfing uns im dunkelblauen Kimono. Erfreut begrüßte er meinen unangekündigten, aber dafür sprachversierten Begleiter. Wir parkten das Auto im Innenhof und während wir in der dunklen, nächtlichen Stille warteten bis sich das Automatiktor schloß, spürte ich mein Herz ganz aufgeregt schlagen... Ich hatte derart japanische Häuser mir oft in Büchern angeschaut und davon geträumt, dort einmal live zu sein - und nun stand ich im ersten Innenhof eines solchen Hauses. Es war mir unangenehm, dass ich mich sprachlich so wenig auszudrücken wusste und wich meinem Begleiter nicht von der Seite. Wir gingen durch das erste hölzerne Schiebetor den dezent beleuchteten Pfad zum Haus hinauf.
Der Meister öffnete erneut eine hölzerne Schiebetür und wir betraten den Eingangsbereich des Hauses. Ich blieb erstmal wie angewurzelt stehen... Das mehrdimensionale Ensemble aus verschiedenen, hölzernen Elementen, der dunklen, hölzernen Skulptur im Hintergrund war eher ein Bild als ein Wohnraum... Ich war beeindruckt. Wir zogen flux die Schuhe aus und betraten das Bild und bekamen kurz darauf eine Führung durchs Haus: Bad, Toilette 1, Toilette 2, mein großes, traditionell leeres Tatami-Zimmer, ein nochmal doppelt so großes Tatami-Zimmer nebenan (ein Salon würde ich sagen), der Korridor und schließlich... die Tür zum Garten.
Mein Begleiter wurde kurzerhand auch zur Teezeremonie eingeladen und er nahm dankend an, denn einen solchen Ort hatte der gebürtige Kanadier trotz seiner 20 Jahre Japanaufenthalt auch noch nicht erlebt. Teezeremonie - jetzt? - fragte mein Gastgeber. Ich dachte kurz an meinen leeren Magen, an meine gefüllte BentoBox im Rucksack und entschloß mich kurzerhand mich heute abend anderweitig zu nähren und willigte ein.
Im Garten standen auf dem Trittstein schon ein paar Strohsandalen für uns bereit in denen wir von Stein zu Stein zum Wasserbecken tappten. Händewaschen und Mundspülen hatte ich glücklicherweise bei meiner ersten Teestunde schon gelernt. Aber der Meister war auch gut und eifrig im Anleiten.
Unweit des Wasserbeckens war der Eingang zum Teehaus: in etwa einem halben Meter Höhe gab es eine etwa ebensohohe Luke, durch die man hineinkrabbelt. Dann dreht man sich um und stellt die auf dem großen als Stufe dienenden Stein abgestreiften Strohsandalen zusammengeklappt an die Hauswand, damit die Stufe frei ist für den nachfolgenden Gast. Es war das erste Mal, dass ich in ein solch höher-gelegtes Teehaus krabbeln durfte. Ich war aufgeregt und dankbar für diese Chance und hätte wohl ständig stehen bleiben und schauen und staunen können, aber dafür war keine Zeit. Und so ging alles sehr schnell.
Drinnen blickte ich auf eine Kalligraphie: eine klassische Zenkalligraphie, 一期一会 "one time, one meeting" - zu deutsch "Jeder Augenblick ist einzigartig." Oh - ja... und daneben ein Arrangement von Blumen aus dem Garten. Wir hatten etwas Zeit uns umzusehen, bevor der Meister die Hauptsüßigkeit hineinbrachte. In der Mitte des kleinen 4 1/2 Mattenraumes hing an einem Metallstab mit traditionellem Gußeisernen Fisch ein Wasserkessel. Die Bedeutung des Fischmotivs, auf welches ich immer wiederstoße - ich sage nur Waffelfische - ... ist mir noch immer nicht klar. Hier diente er als Aufhängung. Der Wasselkessel war eigenartig geformt: ein länglicher Zylinder. Er schwebte über glühender Holzkohle und das Wasser darin dampfte.

Dann brachte der Meister die Hauptsüßigkeit herein: Gefärbte süße Bohnenpaste.. soviel weiss ich noch. Davon habe ich mittlerweile soviele in sovielen Varianten gegessen... das Form und Farbe mir entfallen sind. Der Meister ging erneut hinaus, um das Teezubehör zu holen. Wieder war etwas Zeit und es war als ob die Zeit mit jedem Augenblick langsamer verging. Vielleicht war es aber auch nur mein Atem oder mein Herzschlag, der sich allmählich beruhigte... Die Stille, das Geräusch des Wassers, das gedämpfte Licht... kaum vorstellbar, dass wir vor knapp einer halben Stunde noch in der Innenstadt waren. Wir fühlten uns beide wie in eine andere Dimension gebeamt.... Im Raum schwebte das Gefühl des Besonderen, dass uns wohl gleichermaßen ergriff und intuitiv wurden unsere Stimmen andächtiger und ruhiger. Ich war beeindruckt, wie gut dieses alte System uns ``moderne'' Menschen so zielsicher einzufangen vermochte, und dass noch vor dem ersten Schluck....

Der Meister kehrte zurück, plazierte die Gegenstände an geeigneten Plätzen und begann mit der Teezubereitung. Der mir in groben Zügen mittlerweile vertraute Ablauf, entspannte mich. Die sprachliche Verunsicherung wich mehr und mehr und ich war froh meinem Begleiter nun beim ``Übersetzen'' manch umständlich anmutender Abläufe behilflich sein zu können. Ich genoß die geschickten, fließenden Bewegungen dieser erfahrenen Hände und freute mich in dem bekannten Ablauf kleine raffinierte Details zu entdecken - Details, die die einzelnen Schulen voneinander unterschieden und jeder Zeremonie einen doch eigenen Charakter verliehen. Der Tee schmeckte köstlich und in meiner Neugier verlangte ich intuitiv die Teeutensilien nach der Reinigung anschauen zu dürfen. Ich war selbst überrascht, wie gut die Kommunikation in diesem Raum funktionierte - so als gäbe es gar keine sprachliche Hürde... Wir erfuhren dabei, dass der Löffel Teil eines Besens im Tempelkomplex von Nara gewesen sei und ich bewunderte die helle, feine Teeschale, die mich in ihrer Größe, Leichtigkeit und der beige-farbenen, porösen Oberfläche an ein Straußenei erinnerte. Wir plauderten noch ein wenig, bis sich unser Bedürfnis nach Kommunikation erschöpfte und dann bedankten wir uns und krabbelten wieder aus der Luke in den Garten hinaus. Wir traffen uns im Wohnzimmer wieder um noch einige Absprachen für den nächsten Tag zu regeln, dann verließ mich mein Begleiter. Es war nicht sehr spät und mein Gastgeber bot mir an im Wohnzimmer zu bleiben, aber ich fühlte mich müde und satt von dem gerade Erlebten und fast wie nach einem guten Schluck Wein, dessen Geschmack man sich noch eine Weile im Mund bewahren möchte, sehnte ich mich nach einem ruhigen, ungestörten Ausklingen dieses besonderen Abends.
Ich ging in mein Zimmer und schaute mich neugierig um... viel gab es nicht zu sehen: eine Bildnische, ein Tischchen, in der Mitte des Zimmers der aufgebettete Futon und ein größeres Tablett, das die Tatamimatten vor meinem Rucksack schonte. Das Tablett war quasi mein Schrank, denn einen solchen gab es nicht. Wo hätte der auch stehen können - bis auf die Bildnische bestanden alle Wände quasi aus Schiebetüren! Ein Fenster gab es also auch nicht. Ich lugte durch eine Schiebetüre... da war der große Salon... die andere Wand.. ein Korridor.. die nächste Wand.. wieder ein Korridor und durch die vierte Wand bin ich hereingekommen. Ich war dankbar für die Übersichtlichkeit dieses Raumes.
Dann nahm ich mein Waschzeugs und machte mich auf den Weg ins Bad. 1 1/2 Stunden waren vielleicht seit der Hausführung vergangen. Ich versuchte mich zu erinnern, wo das Bad war. Allerdings war nicht nur mein Zimmer umgeben von hübschen, unauffälligen, hölzernen Schiebetüren und so war es schwer im nur indirekt durch Papierwände beschienen Korridor die einzelnen Räume auszumachen. Vorsichtig schob ich die ein oder andere Schiebetür zur Seite, erblickte aber nur diverse Privatgemächer.. Ich kam mir vor wie in einem Schloß mit vielen Türen. Ich irrte noch ein wenig umher, bis meine Unschuld in ein Gefühl von Peinlichkeit umschlug und bat dann den Teemeister mir die rechte Tür zu zeigen.
In der steinernen Badewanne gab es heißes, wohl temperiertes Wasser - welch ein Luxus! Es war nicht spät, als ich zu Bett ging, aber ich war müde und freute mich auf das Bett. Ich schlief prächtig und fühlte mich königlich... Das ist vermutlich das Gefühl, was die ach-so-teuren traditionellen japanischen Gasthäuser versuchen hervorzurufen und wofür man gut und gerne mehr als üblich bereit ist zu bezahlen: eine Nacht im Ryokan - ein kondensierter Urlaub.
Ich wachte entsprechend früh auf und erfreute mich eine ganze Weile an dem Vogelgesang, der von draußen zu hören war. Dann stand ich auf und organisierte meine Sachen für den Tag. Ich war gerade fertig damit, als ich den Teemeister den Flur hinter meinen Wänden entlang schlurfen hörte. Papierwände haben einen sehr eigenen Charme. Mit einer Familie mit kleinen, umher tobenden Kindern mag dieser auf Sichtschutz reduzierte Baustil vielleicht von Nachteil sein, aber an jenem Morgen und in diesem Setting war es ein zauberhaftes Spiel mit der Intimität des anderen: Keine dieser Türen ist abschließbar und wenn ich des nachts Licht an habe, würde mich mein Schatten trotz Sichtschutz verraten....
Aber jetzt war es Tag und ich verfolgte neugierig seine Schritte. Dann hörte ich wie im Korridor die Gardinen geöffnet wurden und das Licht erhellte mein Zimmer. Ich wartete ungeduldig, bis sich die Schritte von meinem Haustrakt entfernten und ich hörte, wie die Schiebetür zum Wohnzimmer zugezogen wurde. Dann öffnete ich meine Schiebetür zum Korridor.... und blickte einen nochmals neuen Garten mit einem riesigen, schneeweiß-blühenden Kirschbaum....
Ich war sehr, sehr glücklich... Frühstück für Augen und Ohren.. mein Magen musste hingegen noch etwas warten, denn bis auf den Tee wird im Hause nichts serviert und die Küche wollte ich nicht benutzen. Der Meister begleitete mich noch in die Innenstadt und zeigte mir einige Teeläden. Mittags traf ich noch den Rest der Familie, u.a. eine hochschwangere Tochter, die Englisch sprach und so konnte ich noch einige Fragen loswerden. Die zweite Nacht schlief ich nicht ganz so gut... aber das lag wohl eher an dem Sake, den ich abends mit meinem Begleiter konsumiert habe, denn an den Qualitäten des Hauses.
Am zweiten Morgen verließ ich das Haus des Teemeisters und ich hatte das Gefühl, unsere Bemühungen miteinander zu kommunizieren, waren doch relativ erfolgreich gewesen und sowohl mein Japanisch, als auch sein Englisch war etwas leichtläufiger, als bei meiner Ankunft.. Ich war - in jeglicher Hinsicht - sehr zufrieden und komme gerne wieder.