Samstag, 22. März 2014
Die großen Enten von Japan
Geld und Ticket – ich bekam beides, wenn auch mit einigen Komplikationen. Wie angekündigt zierte sich der Automat mir Geld zu geben - ich habe es irgendwann einfach hingenommen - Probleme kann ich lösen, wenn ich ausgeruht bin, also frühestens morgen - und bin zur Wechselstube, um mein restliches Bargeld umzutauschen. Noch 8 min bis der Zug fährt. Einer von mehreren möglichen Zügen, aber für diesen hatte ich schon eine ausgedruckte Verbindung. Ich folgte also brav dem Zeichen „JR“ - Japanese Railways. Im Untergrund angekommen, sehe ich sofort drei freie Automaten. Menschliche Hilfe wäre lieber, dachte ich. Meine Augen suchten hoffnungsvoll einen Schalter. Aber ein kurzer Blick auf die Warteschlange genügte, um meine Hemmungen mit dem Automaten zu kommunizieren zu überwinden. Zu meiner Überraschung kannte er die Kleinstadt in den Bergen. Etwas skeptisch über die mir unerklärlichen Preisunterschiede auf meinem Ausdruck und auf dem Display des Automaten, versuchte ich es dreimal - immer mit dem gleichen Ergebnis. Muss ich Sitzplätze reservieren? Montag morgen? Wohl kaum. Ich riskierte es. Irgendetwas wird er mir schon ausspucken und wenn es verkehrt war – mein Gott – ich bin Ausländer, ich darf auch ein falsches Ticket haben, Hauptsache ich habe überhaupt eines. Drei kleine Zettelchen spuckte er aus, nicht viel größer als Berliner Bustickets und dass für meine fast hundert Euro! Aber die Gleisautomaten liessen mich passieren und nun hatte ich noch 20min, um Luft zu holen und endlich anzukommen, denn den Zug hatte ich gerade verpasst.
Der nächste Zug – ein Expresszug – durfte ich den nehmen? Egal, ich saß endlich in einem Zug. Die Durchsage war auch auf englisch – „Wellcome …bla bla bla...this train is ... reserved seats only“.. Ich wünschte sie wäre nur auf japanisch gewesen. Okay, vielleicht hätte ich doch eine Reservierung nehmen sollen oder besser müssen? Ich wanderte im Zug umher auf der Suche nach einem Schaffner... keiner da. Mit ihren weißen Uniformen, weissen Hüten und weissen Handschuhen waren sie hübsch anzusehen, wie sie draußen eifrig die Kelle schwangen. Ich setzte mich wieder hin, aber ich saß unruhig und nervös. So nervös kenne ich mich sonst nicht, dass muss der Jetlag sein, versuchte ich mich zu rechtfertigen. Ich versuchte etwas zu schlafen. Es gelang mir tatsächlich. Den Expresszuschlag hatte ich vergessen, erfuhr ich kurze Zeit später von dem freundlichen Schaffner, der mich geweckt hatte. Aber das war genauso wenig dramatisch, wie die fehlende Reservierung. Den konnte ich ganz einfach nachbezahlen. Jetzt war mir der Preisunterschied klar.

Tokio! Endlich! Aufgeregt schaute ich aus dem Fenster: Häuser, Häuser, Häuser, häßliche Häuser, Betonburgen, Wellblechhäuser, riesige Werbetafeln...meine Begeisterung ebbte allmählich ab. Ach..., Tokio vielleicht doch eher ein anderes Mal. Für meine momentane Verfassung war Tokio gerade einfach zu groß, zu laut, zuviel. Ich beschloß schnellstmöglich weiter zu fahren. Am Bahnhof angekommen, versicherte ich mich am Schalter, dass mein Ticket ausreicht für den nächsten Zug: ein Shinkansen! Ein tolles Wort. Es bedeutet übersetzt „neue Stammstrecke“ und ist eigentlich die Bezeichnung des Streckennetzes, dass eigens für die Schnellzüge gebaut wurde. Da der Nah- und Güterverkehr ein anderes Netz benutzt, sind sie weltweit unübertroffen pünktlich. Sie sind ein Aushängeschild Japans und dementsprechend gibt es auch hier einen Hype um diese Züge, alle haben Namen und werden bejubelt. Ich wollte damit nur von A nach B kommen und ging zu meinem Gleis. Noch 12min bis zur Abfahrt. Auf dem Gleis waren rote und grüne Markierungen auf dem Boden aufgemalt, die das Anstellen organisierten und immer da endeten, wo sich vermutlich in Kürze eine Tür befinden würde. Und tatsächlich reihten sich die Japaner ganz brav dort ein. Rote Spur und grüne Spur.. 1. und 2. Klasse vielleicht? Ich ging ganz an den Anfang des Gleises und orientierte mich beim Einreihen an der Mehrheit, die auf grün stand. Ich blickte mich um. Am gegenüberliegenden Gleis fuhr gerade ein Zug ein. Wow! Ich gebe zu, soetwas habe ich noch nicht gesehen und plötzlich konnte ich den Hype der Japaner (und vieler Nicht-Japaner) durchaus verstehen. Neben mir hielt ein Hayabusa-Shinkansen, der „Wanderfalke“. Wie mein Shinkansen, ist er im Norden Japans unterwegs, zum Teil mit 320km. Japan ist generell sehr bergig und es gibt viele, viele Tunnel, vergleichbar mit der Schweiz. Um den Tunnelknall, d.h. das Aufprallen auf die im Tunnel nicht nach rechts- und links-ausweichen-könnenden Luftmassen zu minimieren haben die Shinkansen alle eine langgezogene Nase, was aussieht wie ein Entenschnabel. Der grüne Hayabusa hat einen besonders langen Schnabel und sieht daher recht beeindruckend und witzig aus. Mein Shinkansen, der kurz darauf einfährt ist weiss mit einem gelben Streifen an der Seite und einer nicht ganz so langen Nase. Während der Zug innen noch gereinigt wird, beobachtete ich, wie eine Mutter mit ihrem etwa 5jährigen Sohn den Schnabel meines Shinkansen tätschelt und … Fotos macht. Ich überlegte kurz, ob ich mich dazu geselle und meinem Gefährt auch eine solche Anerkennung zukommen lassen sollte, aber angesichts der Menschenmenge hinter mir wagte ich es nicht, meine grüne Markierung zu verlassen, denn sie führte zu dem Türchen von einem der zwei Waggons mit Non-reserved Plätzen im Zug. Ich erfreute mich also aus der Ferne an der kindlichen Vorfreude des Jungen und genoß es, nichts fotografisch festhalten zu müssen - ich war mir sicher, im Internet wimmelt es von Fotos dieser großen Enten. Und tatsächlich...

Shinkansen im Nordosten Japans
"Mein Shinkansen" - Joetsu