Mittwoch, 26. März 2014
Winterruhe
Auch wenn der Winter nun auch hier vorbei ist, möchte ich Euch eine kleine Geschichte nicht vorenthalten. Es mag wohl am zweiten Tag nach meiner Ankunft gewesen sein... Ich wohne im Erdgeschoß und aus meinem Bett blicke ich auf einen künstlichen See auf dem sich meist ein paar Enten tummeln. Und gefähr so:
Blick aus meinem Schlafzimmerfenster (nicht ganz, aber beinah..) Dahinter steht das moderne Gebäude der Universität, in deren Gästehaus ich untergebracht bin und das Gebäude direkt vor meiner Haustür ist ein Park-Café, dass recht gut sein soll (links im folgenden Bild) Meine Wohnung (Haus rechts, Erdgeschoß)
Dort herrscht tagsüber ein reges Treiben und ganze Gesellschaften spazieren 2m entfernt von meinem Bett an meinem Fenster vorbei. Es ist also recht amüsant und kurzweilig vom Bett aus einfach nur aus dem Fenster zuschauen.
Meine Wohnng in dem Haus ganz rechts im Erdgeschoß

Trotzdem habe ich mich morgens hinausgewagt, hinaus vor die Tür. Wagen ist fast zuviel gesagt, denn gefährlich ist es hier überhaupt nicht. Ich bin umgeben von "Polizeiboxen" im Zentrum dieser Kleinstadt und fühle mich sehr behütet. Nein, mich hat es etwas Mühe gekostet, mein gemütliches Bett zu verlassen und mich der kalten Morgenluft zu auszusetzen. Was mich anzog war der Park, der hinter dem Unigebäude liegt - der einzige große grüne Fleck auf dem Stadtplan. Der ist jetzt ziemlich gelb und wenig ansehnlich, aber der gesamte Weg von mir bis zum Park ist gesäumt von noch friedlich schlummernden sehr alten Bäumen. Als ich sie an jenem Morgen dass erste Mal sah, blieb ich fasziniert stehen.
Das ganze Stadtzentrum gesäumt von diesen alten Bäumen
Ich war mir nicht sicher, was es für Bäume sind, aber ich hatte eine Ahnung.
umringt von Bergen
Und wie ich da stand, fing es plötzlich an zu schneien und zwischen all den alten knorrigen Bäumen mit ihrer dunklen Borke, schwebten feine, weiße Flocken.
alte Kirschbäume überall
Und während der eine Teil meines Gehirns ganz klar wusste, dass es Schneeflocken sind, war der andere Teil wie hypnotisiert, denn die Ahnung wurde intuitiv zur Gewissheit. Ich sah mich um...sah die vielen alten knorrigen Bäume, wie sie entlang des Flusses rechts und links standen, wie sie eine Allee bildeten und realisierte plötzlich, dass es in diesem ganzen Zentrum nur eine einzige Baumsorte gab...und die Vorstellung dessen, was kommen wird; die Vorstellung, wie sich dieser Ort wandeln werden würde und dass ich inmitten all diesen Wandels wohnen werden würde...
Eine Allee alter Bäume..
Nie hätte ich gedacht, wie süß und intensiv die Vorfreude sein kann. Vielleicht ist sie noch schöner – die leise Vorahnung, während alles noch schläft... Ich ging weiter, dankbar für diese alten, schlafenden Bäume, und für den vertrockneten Park und für ein sehr altes Gedicht aus dem Kokin Wakashu ...
Da mein Herz von Sehnsucht tief gefärbt,
hielt für Blüten ich den Schnee,
der nicht vergehen will.
Kahler Park



Donnerstag, 13. März 2014
Verreist und völlig ineffektiv
Nach der Eisaktion fand ich es auch absurd weiter zu schlafen. Ich beschloss die Videothek zu begutachten, in der Hoffnung mich mit einem japanischen Film etwas einstimmen zu können. Wenn Mitternachtseis zu irgendetwas passt, dann zu nem guten Film. Den Film über Rikyu den Teemeister übersprang ich zugunsten einer leichten Liebesgeschichte (Hidamari no Kanojo / Girl In The Sunny Place, 2013). Der Film war sehr schön. Vom Japanischen verstand ich kein Wort und bei einer Szene im Büro, die eine mir nicht so angenehme Seite Japans zeigte, überfiel mich ein etwas mulmiges Gefühl... Worauf hab ich mich da eigentlich eingelassen? Ich liess auch diesen Gedanken ziehen und erfreute mich wieder an den großen, dunklen Augen japanischer Kinder... wird schon. Ohne nachzudenken öffnete ich plötzlich die Jalousie meines Gucklochs: die Morgendämmerung hat bereits eingesetzt. Den Sonnenaufgang konnte ich von meinem Fenster zwar nicht sehen, aber dafür konnte ich unter mir eine weite, weisse Landschaft ausmachen. Wo sind wir eigentlich? Ich überlegte kurz, ob mir das Ende des Films wichtiger war, als meine Orientierung und zappte dann schnell zur Fluginfo durch: Sibirien! Wir flogen gerade über Sibirien!
Kein Wunder, dass da keine Städte sind. Fasziniert verfolgte ich die vereisten, sich gemütlich Windung um Windung durchs Land schlängelnden und endlos fein sich verzweigenden Flussläufe, als hätte es das Wasser nicht eilig, zum Meer zu kommen. Ich dachte an meine Arbeit, an die Stoffwechselflüsse in Zellen, die ich versuchte vorherzusagen. Den schnellsten Weg, den effizientesten Weg, den kürzesten Weg kann ich berechnen.. nicht aber den ineffizienten Weg, den das Leben vermutlich jeden Augenblick einschlägt. Und ich dachte an mein stetes Bemühen, den „richtigen“ Weg zu finden... und dann hörte ich auf zu denken und machte ein paar Fotos dieser gemütlichen Landschaft. Ist das die Transsibirische Eisenbahn oder eine Autobahn, die sich den Weg durch die Wildnis bahnt?

Sibirien im Winter

Sibirien im Winter

Sibirien in der Morgendämmerung



Abschiedslied
Montag morgen, auf dem Weg zum Flughafen gab es schönsten Sonnenschein und es duftete nach Frühling. Und während wir an der Bushaltestelle auf den TXL warteten, sah ich noch einen Vogel, konkreter einen Star: Fröhlich und unbeschwert trällerte er hoch oben auf einem dieser riesigen blauen Hinweisschilder über der Autobahn sitzend. Ob die Weibchen ihn wohl dort zwischen all dem Autogetös hören? Und wenn ja, würden sie sich daneben setzen? Würde er sie dann zu seinem Nest im Mittelstreifengebüsch oder unter die Leitplanke führen? Garantiert Fuchssicher.
Oder sang er etwa für mich? Ein Abschiedslied? Ein wenig wehmütig wurde mir beim Gedanken, diesen doch gerade zart erblühenden Frühling jetzt schon wieder zu verlassen. Aber immerhin, dann kann ich das Frühlingserwachen ein zweites Mal erleben und die Aussicht, die gemeinsame Freude darüber in den fremden Gesichtsausdrücken verschiedenster japanischer Menschen erleben zu dürfen, stimmte mich wieder vorfreudig.