Sonntag, 18. Mai 2014
Sakura: Neubeginn und Abschied
Vor kulinarischen Überraschungen ist man hier scheinbar nie gefeit. Passend zum Kirschblüten-Tee habe ich mir eine Süßigkeit gegönnt, die ich von meiner Teelehrerin geschenkt bekommen habe. Ein Reiscräcker mit Blüten drauf. Die Sorte hatte ich noch nicht probiert und war neugierig und gepresste Zuckerstücke in Blütenform hatte ich die Tage zuvor zur Genüge gegessen. Das Nachschlagen im Wörterbuch hat sich mittlerweile auch auf eine erträgliche Geschwindigkeit gesteigert, so dass ich mir die Mühe machte, das Kanji auf der Packung zu entziffern: Sakura! Wie passend!
Ich trank einen Schluck frischen Tee und biss genußvoll in den Cracker, einen zart-süßlichen Geschmack von Keks erwartend... Aber dem war nicht so und für einen Augenblick war ich zugegeben etwas angewidert: Fisch! Dass der Cracker nicht süß sondern salzig schmeckt, okay, aber der Fischgeschmack musste nun wirklich nicht sein! Ich suchte die Strichzeichen auf der Packung nach jenem Zeichen für Fisch ab, eines der wenigen Zeichen die ich kannte, weil es vier Flossen und ein Fenster hat und ich die Zeichen mit Fenster gern mag. Es gab große und kleine Zeichen auf der Packung und mir fehlte eine Lupe um sicher zu sein. Aber eines der winzigen kleinen Zeichen könnte durchaus ein Fenster mit 4 Flossen sein. Es könnte wahrscheinlich auch sonstetwas sein. Würde ich den Fisch nicht erwarten, würde ich das Kanji vermutlich auch nicht erwarten.... Man muss wohl wissen, wonach man sucht, um unter den winzigen Zeichen, dasjenige für Fisch zu finden. Ich aß noch eine der mir vertrauten Zuckerblüten und machte einen weiteren Aufguß...
Kulinarische Überraschung
Während der Tee hinreichte, um den Fischgeschmack hinweg zu spülen, für meine Gedanken reichte er nicht. Die kreisten noch immer um den Fischgeschmack und die Frage, wie man darauf kommt, Sakura mit Fisch zu verbinden. Vielleicht entspricht der Geschmack nur deshalb so gar nicht meinen Erwartungen, weil mein Bild von Sakura ein anderes ist.
Ich sehe die Blüten, das reine, frische neue Erwachen in den Kirschblüten, die den Wandel einläuten. Ich sehe die blühenden Bäume im Park, Menschen - alte und junge, die die Blütenpracht bestaunen und das stimmungsvolle Ambiente nutzen, sich dort zu treffen.
Sakura
Es gibt einen richtigen Sakura-Tourismus und die Städte werben mit ihrer Kirschblütenpracht (meist begleitet von erhöhten Hotelpreisen). Und tatsächlich scheint es, ähnlich der saisonalen Spezialitäten auch regionale Spezialitäten in Sachen Kirschbäume zu geben. Sendai ist beispielsweise bekannt für seine wunderschön hängenden Kirschbäume:
Sakura
Das Treffen im Park wird meist verbunden mit einem Picknick. Mehr oder weniger große Gruppen treffen sich dort zum Verspeisen ihrer BentoBoxen und stundenlangen Sitzen, plauschen und schauen. Die berüchtigten Alkoholexzesse sind mir zumindest dabei nicht begegnet. Die scheinbar allseits beliebten blauen Plastikplanen störten allerdings meinen romantischen Blick.
Auch Firmen nutzen die Gelegenheit für einen Betriebsausflug. Den von meinem Institut habe ich leider verpasst, dafür konnte ich Zaungast bei einer anderen Firma sein, die den Samstag (!!!) vor dem 1. Mai - dem Tag der Arbeit, der hier wie auch bei uns ein Feiertag ist - den halben Park in Beschlag nahm und Preise für ihre Angestellten verteilte. Leider konnte ich nicht verstehen, ob die Preise gelost oder Auszeichnungen für gute Arbeit waren.
Die Zeit des Neubeginns und die blühenden Kirschbäume sind natürlich auch ein idealer Zeitpunkt zum Heiraten. Und so war es nicht so verwunderlich, dass ich gleich mehrfach eine Hochzeitspaar zu Gesicht bekam. Es heisst, in Japan werden die Menschen shintoistisch geboren, christlich vermählt und buddhistisch beerdigt. Das zeigt ganz gut, wie die Japaner mit Religion umgehen: alles was passt und schön ist, ist gut. Shinto und Buddhismus waren auch lange Zeit eng miteinander verwoben und erst im Zuge der Rückbesinnung auf urjapanische Wurzeln Ende des 19.Jhd wurde Shinto und Buddhismus getrennt. Seitdem gibt es sowohl buddhistischen Tempel und Shinto-Schrein nebeneinander. Gut aber zurück zum Heiraten.

Wie gesagt, christlich heiraten ist, so wie alles westliche ``schick``. Es gibt eigens auf christliche Heiraten spezialisierte Etablissements, das mit der Kirche ist dabei wohl auch nicht so wichtig - wer als Europäer ein halbwegs seriöses Auftreten besitzt, kann als ''Weddingmaster`` in Japan mit dem Vermählen sein Geld verdienen. Das geht leider nur für Männer, ich hätte den Job sonst aus reiner Neugierde gern mal angefragt. Das Heiraten nach Shinto-Tradition kommt aber zunehmend auch wieder in Mode. Außer dass man dabei 3 Becher Sake in 3 Schlücken miteinander teilt, weiss ich über das Ritual leider nicht sehr viel. Das Brautkleid ist auf jeden Fall nicht minderaufwendig zu tragen, wie die christliche Hochzeitsgarnitur.
Schließlich ist Sakura auch Sinnbild für den Wandel und die Vergänglichkeit. Je nach Wetterlage, kann man sich mehr oder weniger lang an den Blüten erfreuen. Manchmal sind sie nach drei Tagen schon wieder hinweggeweht, kaum dass sie erblüht sind. Dieses Jahr jedoch war die Zeit der Kirschblüten mit einem sommerlich mildem, mäßig windigem Wetter gesegnet, so dass wir fast 3 Wochen uns an der Blütenpracht erfreuen konnten. Nichts destotrotz fallen sie irgendwann und dann ''schneit`` es tatsächlich...
Das Fallen der Kirschblüten ist Thema sehr vieler Gedichte und Lieder. Eines davon habe ich in meinem Sprachkurs gehört.
Dabei habe ich auch erfahren, dass in Japan der April für viele Menschen tatsächlich eine Zeit des Wandels ist. Die Universitäten und Schulen beginnen ein neues Schuljahr, in den Firmen beginnt das neue Geschäftsjahr und wer seine Arbeit verliert, eine neue beginnt oder - wie sämtliche Staatsdiener - alle drei Jahre automatisch in einer andere Region versetzt wird... 1. April. Der Einfluß, den die Menschen dabei meist auf ihr Schicksal haben, entspricht meist dem, den sie auf das Fallen der Kirschblüten haben...

Es gilt das Unabänderbare anzunehmen und dem unvorhersehbaren Neuen offen zu begegnen. Die Wehmut aber auch die Unsicherheit, die in den Gedichten und Liedern meist anklingt, wird vor diesem Hintergrund irgendwie nachvollziehbar. Vielleicht ist mein Sakura-Fischcracker eine Anspielung auf ebendiese Unvorhersehbarkeit...

Hier der Link zu dem Sakura-Song eines von jungen Mädchen heiß begehrten Sängers und Songwriters. (Achtung nervige Werbung! Besser erst auf lautlos stellen). Mehr Fotos gibt es beim Klick auf folgendes..



Samstag, 17. Mai 2014
Sakura: Natur im Wandel
``Es ist Ende April und im Park schneit es erneut, wenn auch das Weiß im Wasser nicht vergeht, sondern stattdessen auf der Oberfläche treibt und nachts einen süßlichen Geruch verbreitet.
Sakura
Sakura - der Kirschbaum - blüht und seit etwa 10 Tagen ist der Park in schnellem Wandel. Ein zartes Grün hat sich schon in das Meer aus weißen, zum Teil zart rosafarbenen, Blüten gemischt und wird schon bald das Bild im Park dominieren. ''
So habe ich vor 20 Tagen meinen Bericht angefangen. "Sakura", die Kirschblüte, ein Wort hinter dem sich vieles verbirgt - zumindest habe ich es in so vielen verschiedenen Intonationen gehört, dass ich reichlich verwirrt war, um was es eigentlich geht und schwer schreiben konnte. Mit anderen Dingen ist es ähnlich - je länger ich hier bin, umso vorsichtiger werde ich mit dem Urteilen, oder anders gesagt, umso mehr merke ich dass ich nur wenig verstehe von dieser Kultur. Aber ich bemühe mich zumindest zu beschreiben und sollte ich dennoch versehentlich urteilen... schreibt mir!

Was Sakura betrifft, so hat sich mittlerweile der Trubel gelegt, die Fressstände im Park sind verschwunden und man findet erstaunlicherweise nicht das leiseste Anzeichen mehr des Spektakels - selbst die Blüten sind alle verschwunden. Das ist übrigens ein Phänomen - selbst wenn nachts eine wilde Freßorgie tobt, tagsüber Menschen im Park picknicken mit all ihrem Plastikgeschirr und Bentoboxen... am nächsten Morgen ist der Park wie frisch gefegt.
Sakura
Nun denn die Kirschblüten, der eigentlich Anlass dieses Festes... Ein paar Kirschbäume, die sich lange zurückgehalten haben werfen gerade ihre letzten Blüten. Diese Sorte hat sehr volle Blüten und leicht rötliche Blätter. Als ich sie das erste mal sah, war ich sehr erstaunt über diese Nachzügler, deren Blätter und Blüten eßbar sind und traditionell in Pflaumenessig und Salz eingelegt werden.

Früchte tragen diese Bäume nicht, also sind alle Aromastoffe in den Blättern und Blüten gesammelt. Die eingelegten und getrockneten Blüten kann man als Tee aufgiessen. Das sieht sehr schön aus. Der Geschmack erinnert allerdings eher an eine - wenn auch köstliche - Brühe und ich war reichlich irritiert, als ich dieses Getränk zum ersten Mal probierte. Aber frisch kann man sie auch aufbrühen. Der Kischtee schmeckt nur leicht salzig und hat ein sehr feines Kirscharoma. Und während der Tee auf Trinktemperatur abkühlt, wird einem die rasche Vergänglichkeit jugendlicher Schönheit im Zeitraffer vor Augen geführt...
Bei Fotografieren fiel mir auf, dass ich von den anderen Kirschblüten zwar unzählige Fotos gemacht habe.. aber ich hätte nicht sagen können, wieviele Blütenblätter eine Kirschblüte hat. "Hätte ich sie zeichnen müssen wäre das vermutlich anders gewesen." - dachte ich. Nun denn hier ein Foto der im Park hier vorherrschenden Art. Wer mehr Fotos sehen will... klicke auf das Bildchen.
Sakura
Natürlich gibt es auch für dieses Ereignis eine entsprechende Süßigkeit: In die salzig-sauer eingelegten Kirschblätter wickelt man rosafarbene mit Anko-gefüllte Reisbällchen: Sakura-Mochi! Diese Sorte von Mochi war das erste Mochi, dass ich in Deutschland gegessen hatte. Es war während des Teeunterrichts. Mag sein, dass meine Sinne deshalb so überwältigt waren von dieser homeopathischen Dosis Kirscharoma, aber ich könnte schwören, selbst die reifesten Kirschen können nicht so intensiv schmecken, wie diese Klebreisbällchen! Und das salzig-sauer eingelegte Kirschblatt ist zudem recht erfrischend.

Mein erstes Sakuramochi hier in Japan sollte daher ein besonderes sein, sprich nicht aus dem Supermarkt und ich wollte es nicht einfach so essen und schon gar nicht vor der Kirschblüte. Aber kaum blüten die Kirschbäume, war soviel los und letztlich habe ich gar kein Sakuramochi zu kaufen bekommen und nun ist die Saison schon wieder vorbei. Zum Trost habe ich mich doch vom Supermarktangebot verleiten lassen - So konnte ich euch zumindest ein Foto zeigen - der Geschmack indes... naja, nächstes Jahr..
Und obwohl etwas traurig über die verpasste Gelegenheit, bin ich doch ein großer Befürworter dieser saisonalen Spezialitäten. Mir scheint, hier gibt es jede Woche etwas, was nur jetzt Saison hat und sei es die Form der gepressten Zuckerstückchen. Wenn ich die Tochter der Süßwarenverkäuferin richtig verstanden habe, ist momentan Muschelform angesagt...
Kulinarische Überraschung