Dienstag, 8. April 2014
Die Toilettenschuhe
Sie ist längst überfällig, diese Geschichte - die Geschichte über die japanischen Toiletten, die auch in keinem Reiseführer oder Landschaftsporträt fehlt. Aber meine Geschichte dazu... brauchte eine Weile - oder vielmehr ich brauchte eine Weile, um mir eine Meinung zu bilden. Nein, das stimmt nicht, eine Meinung hatte ich schon vorher: Ich finde den Technikwahn der Japaner übertrieben und an ihren Toiletten kondensiert sich dieser übertriebene Technikwahn nun einmal. Ich brauche so ein High-Tech-Ding nicht für meinen Hintern. Und ich wusste, dass ich es haben werde, denn es ist ein Gerät, dass mittlerweile zur Standardausrüstung eines jeden japanischen Hauses gehört...
Nun, hier also meine Geschichte, oder vielmehr Geschichten, denn ich habe sie gesplittet. Aber vielleicht einmal von vor und mit einer vernünftigen Vorstellung für all jene, die das Vergnügen vorort an jenem Ort noch nicht hatten. Dies ist also meine Toilette:
This is the Toilett.
Etwas unscheinbar, aber ganz wichtig - rechts unten am Eingang: die Toilettenschuhe. Man zieht sie an, wenn man rein geht und zieht sie idealerweise aus, wenn man diese wieder verlässt. Dass man sie das allererste Mal vergisst auszuziehen, ist vermutlich fast obligatorisch für Nicht-Japaner und es nicht zu vergessen ist eher unmenschlich, als andersherum. Ich hatte dieses Erlebnis vor sieben Jahren in einem Gasthaus in Tokyo und der Schreck darüber scheint sich in meinem Gehirn erstaunlicherweise doch festverankert zu haben, denn ich kann stolz behaupten, dass sich diese Schuhe seit meiner Ankunft nicht mehr als 50cm von dieser Schwelle entfernt haben. Ich nehme es als kleines, tägliches Achtsamkeitstraining - es hilft tatsächlich erstaunlich gut gegen zuviel Gedankenversunkenheit!

Der eigentliche Nutzen dieses alten Rituals leuchtet mir dagegen wenig ein. Ich habe versucht mir vorzustellen, wie ungeschickt man sich auf diesem Ort anstellen muss, um einen derartigen Aufwand zu rechtfertigen. Mir fielen die Toiletten auf Tankstellen ein, aber da braucht es mehr als nur ein paar Wechselschuhe... und hier handelt es sich nicht um eine öffentliche Toilette, sondern um ein Einzelappartment.. Nein, ich bleibe beim Achtsamkeitstraining als Motivation und amüsiere mich darüber, dass ich für knapp einen Meter Fussboden, die Schuhe wechsele.

Allerdings muss man wissen, dass in Japan, wie auch in anderen südeuropäischen Ländern, traditionell das Hocken überm Donnerbalken kultiviert wurde. Das Prinzip des Lochs im Boden, bei dem die nackte Haut keinerlei unhygienische Oberflächen berühren muss, entsprach dem ausgeprägten Reinlichkeitsbedürfniss der Japaner - und tut es noch nach wie vor. So gibt es in öffentlichen Gebäuden meist westliche und traditionelle Toiletten, wenn auch letztere immer seltener - oder ich bewege mich in Etablissements, wo die Donnerbalken nicht zum Image passen. In meinem Institut habe ich jedenfalls noch keinen gefunden, sonst hätte ich ihn sicher fotografiert. In ihrer Schlichtheit eignen sie sich für ästethisches Design besser als die europäischen... Aber gut, es geht ja nicht nur um Ästetik.... Um zurück zum Thema zu kommen.. Beim Besuch einer solchen Toilette ist mir aufgefallen, dass der Umgang mit einer solchen doch wesentlich mehr...äh... Treffsicherheit bedarf...hüstel, hüstel.... Wenn man - mal abgesehen von europäischen Gästen - bedenkt, in welchen unterschiedlichen Gemütsverfassungen der Japaner diesen Ort aufsucht, könnte der Aufwand von Toilettenschuhen hier durchaus angemessen sein - so zumindest mein Resümee zum Thema Toilettenschuhe.



Vertraute Fremde...
Heute war ein feiner Tag, ein sonniger Tag, aber mein Kopf war heute morgen unglaublich matschig. Das lag entweder wiedermal am extremen Wetterwechsel, oder ich habe zuviel oder zulange gearbeitet die letzte Nacht. Fakt war, ich war was Denkarbeit betrifft völlig arbeitsunfähig. Also beschloß ich spazieren zu gehen, nahm vorsichtshalber Rucksack und Geld mit und schlenderte los.

Ich wählte die Richtung, die ich bisher noch nicht erkundet hatte. Kurz darauf, wusste ich auch warum: Die Hauptstraße war schrecklich unspektakulär und schien auch nur in weitere unspektakuläre Vororte zu führen. Ein paar unscheinbare Schilder wiesen auf kleine, verschlafene Läden hin, die man auch nicht unbedingt kennen muss, ausser man wohnt nebenan und ist über 60. Von dieser älteren Bevölkerung gibt es auch in Japan immer mehr. Ihr täglicher Bedarf scheint zumindest groß genug zu sein, dass sich ein paar kleine Gemüseläden, die ich zwischendrin entdeckte, gegenüber den großen Supermärkten noch behaupten können. Mir fiel mein leerer Kühlschrank zu Hause ein und ich überlegte ob deren Gemüse wohl aus der Region oder zumindest aus Japan kommen mag oder ob es von China importiert ist und ob mein Japanisch schon reicht, um das herauszubekommen. Aber ich hatte wenig Lust auf Kommunikationsexperimente und mir tat prompt wieder mein Kopf weh, also ging ich weiter.

Kurz darauf stand ich unverhofft vor der Konditorei, oder besser dem Süßwarenladen, in der uns meine Japanischlehrerin vor kurzem gelehrt hat, wie man japanische Süßigkeiten einkauft. Auch wenn ich mir sicher bin, dass bei meinem Heißhunger auf japanische Süssigkeiten mangelnde Japanischkenntnisse das kleinste Problem gewesen wären...war es doch ungemein hilfreich und die Hemmschwelle die Süssigkeiten dort zu kaufen und nicht im Supermarkt (wo sie bei weitem nicht so lekker sind) ist doch deutlich gesunken. Ich freute mich, den Laden so nah an meinem Haus wiedergefunden zu haben und überlegte schon, welche der Motchis ich heute probieren sollte... Aber der tolle Familienbetrieb, vor dessen Tür ich nun stand, hatte leider, leider aus unübersetzbaren Gründen zu. Schade.

Ich sah mich um... Gegenüber gab es eine kleine Anhöhe, die interessant aussah und zumindest nicht offensichtlich einem der angrenzenden Häuschen und Gärtchen zugehörte. Ich schaute vorsichtshalber rechts und links, ob einer der Gärtchenbesitzer sich stören könnte an meinem Vorhaben, aber da war keiner. Also kletterte ich hinauf. Oben angekommen stand ich vor einer Bretterwand, die man von unten nicht hat sehen können. Ich war etwas enttäuscht und lugte neugierig durch ein Astloch. Wiese und... Grabsteine. Die Rückwand vom Friedhof also. Na gut, warum nicht. Zum Sitzen reichte der Platz auf der Anhöhe und hier war es zumindest sonnig und die Pflanzen und großen Gräser rundherum sorgten dankbarerweise für etwas Windschatten. Mehr wollte ich eigentlich nicht: einfach irgendwo, windstill, in der Sonne sitzen und den aufkeimenden Frühling genießen.

Ich schaffte es bestimmt drei Minuten und dann begannen meine Augen schon wieder umherzuwandern und scannten schließlich den Boden nach bekannten, womöglich essbaren Pflanzen. Seit ich vor zwei Jahren begann mich für Wildpflanzen zu interessieren ist das eine Macke geworden, die ich nicht mehr abstellen kann, besonders im Frühling. Erst scannen sie in Zusammenarbeit mit meinen Ohren das Geäst sämtlicher Bäume nach gefiederten Bekannten, jagen jedem sich bewegenden Flugobjekt hinterher und kaum fängt das Grün an zu sprießen, scannen sie den Boden. Aber gut. Hier in der Fremde bin ich ungemein dankbar für die vielen vertrauten Gefährten, sowohl in der Luft als auch am Boden. Gundermann und Sauerampfer habe ich entdeckt und sofort probiert! Schmecken hier genauso gut, wie zu Hause. Und seit ich bei der Teezeremonie von den Süßigkeiten mit japanischem Beifuß (Yomogi) erfahren habe, ist dieser mit ins Scanprogramm aufgenommen worden. Und tatsächlich wucherte es hier schier von Yomogi. Im Gegensatz zu dem, den ich letzlich im Wald gefunden habe, sah dieser zart, jung und saftig aus. Während ich noch überlegte, wie aufwändig Yomogi-mochis wohl zu machen seien, ob ich alle Gerätschaften habe und woher ich die Zutaten bekomme, sammelten meine Finger schon eifrig die jungen Triebe. Ich fügte mich - ohmächtig und dankbar- dieser Entscheidung, die jenseits meines immer noch nebeligen Kopfes ein Teil in mir getroffen hatte und fügte der Sammlung noch ein paar aromatische Gundermannblätter hinzu. Dann machte ich mich freudig auf den Heimweg. Ich hatte wieder ein Projekt! ...und als ich zu Hause angekommen war, war mein Kopf klar und ich fühlte mich gesund und munter.
Yomogimotchi formen und dann kochen
Unterwegs hatte ich das nötige Mehl in einem der kleinen Gemüseläden erstehen können. Das war gar nicht so schwierig - was vielleicht daran lag, dass es nur zwei Sorten Mehl in diesem Laden gab und nur eine davon für Süssigkeiten taugte. Hätte ich in dem großen Supermarkt zwischen 10 für mich ununterscheidbaren Mehlsorten auswählen müssen, hätte mein Kopf sicher wieder blockiert und ich hätte den Laden ohne Mehl fluchtartig verlassen. Aber so... aß ich erstmal den frischgedämpften Reis, den mein Reiskocher für mich in der Zwischenzeit gekocht hatte und machte mich an die Arbeit. Diesmal habe ich nicht erst versucht die Anleitung zu übersetzen - ich hab mir ein englisches Rezept aus dem Internet gezogen und das Mehl optimistisch nach Gefühl zugegeben. Nach nicht mal 20 Minuten schwammen diese kleinen grünen Bällchen im Topf und ich stellte erstaunt fest, dass die japanischen Süßigkeiten, die ich so sehr liebe, eigentlich nichts weiter sind als Mehlknödel... Reismehlknödel um genau zu sein... und dass mir das Rollen der Knödel und das Kochen doch irgendwie sehr, sehr vertraut vorkommen (...ich sage nur Thüringen...). Nur tun wir in Thüringen selten rote Bohnenpaste in die Knödel oder mischen den Kloßteig mit frischen aromatischen Frühlingskräutern.. warum eigentlich nicht?
Yomogimotchi
Ich rollte die in kaltem Wasser abgeschreckten Knödel noch in braunem Kinako (geröstetes Sojabohnenmehl) - naja und einen rollte ich versuchsweise in braunem Zucker, denn für die klassische rote Bohnenpaste fehlte mir der Dosenöffner und so ganz ohne Zucker weigerte ich mich die Bällchen als Süssigkeit zu identifizieren. Dann bereitete ich mir noch einen Matchatee mit meinem neuen Teeset ...und seufzte kurz, weil ich niemanden hatte, mit dem ich just in diesem Augenblick die Freude teilen konnte. Drei Bällchen konnte ich noch für meine Lehrerin in den Gefrierschrank retten und dann probierte ich sie.
..Matchatee zum Yomogimotchi
Ich gebe zu, das Selbermachen meiner heißbegehrten Mochibällchen hat ihnen etwas von der Exotik genommen. Dafür hat sich mir ein neues Experimentierfeld eröffnet, denn für meinen ersten Versuch war die Konsistenz gar nicht schlecht. Und ein Teil des Beifuß-Aromas hat es trotz des Kochprozesses doch noch ins Bällchen geschafft. Ich war sehr zufrieden und bin gespannt, ob sie auch meine Lehrerin überzeugen können. Nur die rote Bohnenpaste innendrin habe ich vermisst. Aber die kann man auch ganz einfach selber machen...habe ich im Internet gelesen...