Donnerstag, 27. März 2014
Frühstück in Japan
Hier einmal etwas ganz aktuelles...mein Frühstück heute morgen..
Es gab Misosuppe, die ich mir aus etwas Misopaste, getrockneten Algen, getrockneten Fischflakes und frischen Frühlingszwiebeln gebraut habe. Darin gab es eingeweichtes Kiromochi - getrockneter Klebreis, aus dem die bekannten und von mir heiß geliebten Mochi-Süssigkeiten gemacht werden. Dazu gab es ein paar Erdnüsse - mein morgendliches Chopstick-training - etwas Tofu (nicht auf dem Foto), ein paar Reiscracker und... Nattoh.
Misosuppe mit Mochi und Nato
Nattoh sind mit Hilfe des Bacillus subtilis ssp. natto fermentierte Sojabohnen, die einen ganz eigenartigen Geschmack haben und entweder Heißhunger oder Ekel auslösen. Bei mir lösen sie weder dass eine, noch das andere aus, weshalb ich sie unbedingt probieren wollte. Ich musste wieder an mein Fernsehinterview denken.. Ich hatte ganz vergessen, dass sie mich darin auch gefragt haben, ob ich Nattoh mag und ob es etwas ähnliches in Deutschland gibt. Ähnlich wie was... fermentiertes Essen? Gibt es... aber Nattoh ist mehr... es ist ein Nationalgericht - falls es diesen Begriff gibt - es ist identitätsstiftend und eignet sich scheinbar hervorragend, um Ausländer auf ihre kulturelle Toleranzschwelle zu prüfen. Ich hab eine Weile nachgedacht, aber etwas, was derart widersprüchliche Reaktionen hervorzurufen vermag und womit man testen kann, wie weit Ausländer bereit sind, sich auf die deutsche Kultur einzulassen... ist mir nicht eingefallen (Fussball vielleicht?). Andere Vorschläge?
Meine erste Nato-Frühstückserfahrung
Aber ich wollte ja von meiner höchstpersönlichen Frühstückserfahrung erzählen (...ich werde fürs Denken bezahlt und leide ein wenig an einer Berufskrankheit). Das obige Bild zeugt von der Konsistenz und auch von der Schwierigkeit, die ich mit dem Nattoh hatte. Denn mal abgesehen vom Geruch und Geschmack, die im wahrsten Sinne des Wortes unbeschreibbar sind, ist mir immer noch ein Rätsel, wie man diese glibschigen Bohnen mit Stäbchen in seinen Mund befördert, ohne dass sie vorher herunterspringen und dieses klebrige Drumherum überall verteilen. Die Fäden hatte ich bald überall, weshalb ich die Finger von der Kamera gelassen habe... ich hoffe ihr versteht.
Alles in allem war mein Frühstück sehr nahrhaft und lecker und mir kommt die morgendliche Misosuppe mit Reis so selbstverständlich vor, als hätte ich nie etwas anderes morgens gegessen.



Mittwoch, 26. März 2014
Winterruhe
Auch wenn der Winter nun auch hier vorbei ist, möchte ich Euch eine kleine Geschichte nicht vorenthalten. Es mag wohl am zweiten Tag nach meiner Ankunft gewesen sein... Ich wohne im Erdgeschoß und aus meinem Bett blicke ich auf einen künstlichen See auf dem sich meist ein paar Enten tummeln. Und gefähr so:
Blick aus meinem Schlafzimmerfenster (nicht ganz, aber beinah..) Dahinter steht das moderne Gebäude der Universität, in deren Gästehaus ich untergebracht bin und das Gebäude direkt vor meiner Haustür ist ein Park-Café, dass recht gut sein soll (links im folgenden Bild) Meine Wohnung (Haus rechts, Erdgeschoß)
Dort herrscht tagsüber ein reges Treiben und ganze Gesellschaften spazieren 2m entfernt von meinem Bett an meinem Fenster vorbei. Es ist also recht amüsant und kurzweilig vom Bett aus einfach nur aus dem Fenster zuschauen.
Meine Wohnng in dem Haus ganz rechts im Erdgeschoß

Trotzdem habe ich mich morgens hinausgewagt, hinaus vor die Tür. Wagen ist fast zuviel gesagt, denn gefährlich ist es hier überhaupt nicht. Ich bin umgeben von "Polizeiboxen" im Zentrum dieser Kleinstadt und fühle mich sehr behütet. Nein, mich hat es etwas Mühe gekostet, mein gemütliches Bett zu verlassen und mich der kalten Morgenluft zu auszusetzen. Was mich anzog war der Park, der hinter dem Unigebäude liegt - der einzige große grüne Fleck auf dem Stadtplan. Der ist jetzt ziemlich gelb und wenig ansehnlich, aber der gesamte Weg von mir bis zum Park ist gesäumt von noch friedlich schlummernden sehr alten Bäumen. Als ich sie an jenem Morgen dass erste Mal sah, blieb ich fasziniert stehen.
Das ganze Stadtzentrum gesäumt von diesen alten Bäumen
Ich war mir nicht sicher, was es für Bäume sind, aber ich hatte eine Ahnung.
umringt von Bergen
Und wie ich da stand, fing es plötzlich an zu schneien und zwischen all den alten knorrigen Bäumen mit ihrer dunklen Borke, schwebten feine, weiße Flocken.
alte Kirschbäume überall
Und während der eine Teil meines Gehirns ganz klar wusste, dass es Schneeflocken sind, war der andere Teil wie hypnotisiert, denn die Ahnung wurde intuitiv zur Gewissheit. Ich sah mich um...sah die vielen alten knorrigen Bäume, wie sie entlang des Flusses rechts und links standen, wie sie eine Allee bildeten und realisierte plötzlich, dass es in diesem ganzen Zentrum nur eine einzige Baumsorte gab...und die Vorstellung dessen, was kommen wird; die Vorstellung, wie sich dieser Ort wandeln werden würde und dass ich inmitten all diesen Wandels wohnen werden würde...
Eine Allee alter Bäume..
Nie hätte ich gedacht, wie süß und intensiv die Vorfreude sein kann. Vielleicht ist sie noch schöner – die leise Vorahnung, während alles noch schläft... Ich ging weiter, dankbar für diese alten, schlafenden Bäume, und für den vertrockneten Park und für ein sehr altes Gedicht aus dem Kokin Wakashu ...
Da mein Herz von Sehnsucht tief gefärbt,
hielt für Blüten ich den Schnee,
der nicht vergehen will.
Kahler Park



Montag, 24. März 2014
Mein neues zu Hause
Da war es nun, das Apartment, von dem meine Kollegen so schwärmten und dem ich mit etwas Murren zugestimmt hatte, weil es die einfachste und unkomplizierteste Art war, hier zu wohnen. Ich wusste, es würde wohl keine Tatamimatten geben auf denen ich nachts meinen Futon ausrollen konnte, keine Schiebetüren, hinter denen sich gleich der Garten befand, wie ich es bei meinem ersten Aufenthalt in Kyoto erlebt hatte. Gut, was dann? Bei meiner Ankunft war ich nur dankbar, angekommen zu sein und war überrascht über die Größe. Ich schätze mal gute 40m2 hat es bestimmt, was für japanische Verhältnisse unverschämt großzügig ist. In dem Haus befinden sich 6 solcher Apparments, die glaub ich alle irgendwie zur Uni gehören. Aber jetzt erstmal ein kleiner Rundgang...
Im Eingangsbereich gibt es die für alle japanischen Häuser typische Stufe, ab der man sich in Hausschuhen bewegt und die netterweise schon bereit standen.
Der Eingang
Der Flur vom Schlafzimmer aus gesehen mit Eingang links, danach links die Küche, rechts erst das Bad mit Wanne, danach rechts die Toilette und gerade aus das Wohnzimmer.
Zur rechten gibt es ein Schlafzimmer mit einem - wie ich später bemerkte - recht komfortablen Bett und einem Schreibtisch. Rundherum befinden sich noch zwei Fenster und Einbauschränke und die multifunktionale Klimanlage, mit der man alternativlos im Winter heizt. Wie man sieht, ist das der von mir am meisten benutzteste Raum – ist auch der kleinste und damit der wärmste Raum in der Wohnung.
Das Schlafzimmer mit Schreibtisch und umringt von Einbauschränken.
Vom Flur kommt man links in die Küche, die die größte Spüle aufweist, die ich je in einer Privatwohnung gesehen habe und einen immensen, beeindruckend gut funktionierenden Gasherd. Wenn die Töpfe genauso beeindruckend wären, wäre ich wahrscheinlich ständig am Kochen, aber die sind eher das Gegenteil.
Die Küche
Blick von der Küche ins Wohnzimmer
Blick von der Durchreiche in die Küche mit Kühlschrank, Wasserkocher rechts und Reiskocher links unten
Das wichtigste Gerät in diesem Haushalt steht auf der Durchreiche: der Wasserkocher! Das Gerät umfasst gute 3 Liter, hat einen magnetischen Stecker, einen Drehfuß und einen Henkel, so dass man ihn leicht befüllen und in der Wohnung umhertragen kann. Aber meist steht er an seinem Platz und hält das Wasser stundenlang auf 98°C oder 85°C (insbesondere wenn man vergisst ihn beim Weggehen oder über Nacht auszustecken). Ich muss sagen, dieses Gerät hat meinen Grünteekonsum um mindestens 300% gesteigert, was auch etwas der Wasserqualität geschuldet ist. Ich bin zwar umgeben von Bergen und dementsprechend wohl klarem Wasser, aber der Reinlichkeitsfimmel der Japaner macht auch beim Wasser nicht halt. Beim ersten Zähneputzen musste ich kräftig spucken. Mittlerweile schmecke ich das Chlor nicht mehr so, vielleicht auch, weil ich zu faul bin, die 2l Kanister vom Supermarkt nach Hause zu tragen...
In der Küche gibt es weiterhin einen Kühlschrank, eine Waschmaschine, einen Trockner, eine Mikrowelle, einen Minibackofen-Toaster und einen Reiskocher, aber dazu später mehr.
Durch die Durchreiche kann man ins sehr aufgeräumte, da ziemlich leere Wohnzimmer schauen.
Das Wohnzimmer, riesig und spartanisch.
Neben dem von mir hin- und wieder genutzten Tisch, gibt es da noch einen Fernseher, aber ich muss zugeben, ich habe ihn noch nicht ausprobiert. Mein Fokus in Sachen Ausprobieren lag deutlich woanders...
Nämlich hier:
Das Bad mit angrenzender Badewanne
Die automatische Badewanne
Die Bedienung der Badewanne ist recht einfach...
Das Bad! Ich muss zugeben, dieser Ort – obwohl komplett aus Plastik wie mir scheint - hat mich doch recht schnell begeistert. Zum einen wohl, weil ich in Deutschland keine Badewanne habe, zum anderen wegen dieses roten Knopfes, dessen Bedienung ich sehr schnell herausfand: Automatik! Mit den kleinen grauen Schaltern rechts kann man die Liter und die Temperatur der Wanne voreinstellen, sowie Temperatur der Dusche. Die Plastikmatte auf dem Boden passt auch auf die Wanne, sodass das Wasser warm gehalten werden kann. Eine feine Sache: nach Hause kommen, ein Klick auf den roten Zauberknopf und etwa 30min später ist die Wanne voll von wohltemperiertem Wasser. Bevor man in die Wanne steigt, reinigt man sich auf dem Höckerchen sitzend mit dem Duschkopf und dann kann man stundenlang dort drin liegen (zumindest theoretisch) und es wird automatisch entsprechend heißes Wasser nachgefüllt. Angesichts der Temperaturen draußen, sehr angenehm – und ich weiss jetzt, dass meine Wohlfühltemperatur bei etwa 42°C liegt. Hinterher lüftet man per Fenster bzw. kann mit der Zeitschaltuhr unterm Lichtschalter noch einstellen, wie lange weitergelüftet werden soll, damit es innen gut trocknet.

Der letzte Raum, gegenüber der Küche... das kleine, stille Örtchen hat ein eigenes Kapitel verdient, daher dazu an anderer Stelle.

Als mich mein Empfangskommitee wieder verlassen hatte und ich wieder allein war, sank ich erstmal müde auf mein Bett. Das Bett ist lustigerweise doch ein Futon, der allerdings auf einer Matratze in einem westlichen Bett liegt. Den Sinn verstehe ich zwar nicht, aber es ist angenehm hart ohne wirklich hart zu sein, sowie das Kopfkissen auch aus einem mir unerklärlichen sehr steifen aber angenehm harten Material ist. Aber angenehm hin- oder her – in diesem Moment war ich hellwach und neugierig auf all das neue um mich herum. Um die eben erwähnte Badewanne auszuprobieren, machte ich mich erstmal an die „Bedienungsanleitungen“, die im Wohnzimmer lagen:
Bedienungsanleitungen fürs Appartment
Noch mehr Bedienungsanleitungen...
Das mit der Badewanne habe ich schnell herausgefunden, wenn auch schnell wieder vergessen... Dass der große graue Knopf ein Alarmknopf ist, habe ich erst vorgestern Nacht herausgefunden, und war danach noch eine Stunde lang besorgt, ob jeden Moment ein freundlicher Japaner mich wohl aus der Wanne klingeln würde, um nachzufragen, was los ist. Das kann mir beim Wasserkocher nicht passieren, der ist ständig in Gebrauch (und hat keinen Alarmknopf). Für den Reiskocher habe ich nächtliche 2 Stunden gebraucht, da ich mit den wenigen Hinweisen auf dem Manual trotzdem nicht wusste, was all die anderen blickenden Anzeigen zu bedeuten haben und mit welchem Programm man nun braunen Reis kocht... aber immerhin, am nächsten Tag gab es zur Belohnung direkt perfekt-gedämpften Reis. Alles in allem hangele ich mich nach Bedarf durch die einzelnen Geräte, mir graut etwas vor der Waschmaschine.. aber noch habe ich frische Unterwäsche aus Deutschland.



Angekommen
Ich sitze im Zug, noch 5 min bis ich an meinem Ziel ankomme. Ich werde etwas nervös... Hat die Stadt nicht mehrere Bahnhöfe? Vielleicht hält meine Bimmelbahn an mehreren Bahnhöfen? Was hatte ich nochmal ausgemacht? Ich greife zu dem japanischen Handy, dass mir ein Kollege geliehen hat, da europäische hier nicht funktionieren. Das Handy zeigt mir zwar freundlicherweise die richtige Uhrzeit an, aber mit japanischen Netzen will es irgendwie nichts zu tun haben – Simcard abgelaufen, wie ich später erfahre. Gut, dann abwarten und tatsächlich - keine 5min später: die Stadt, die Zeit, die Menschen – die dieses mal tatsächlich auf mich warten. Merkwürdig, nach sovielen Stunden Anreise, zigmal Umsteigen, in diesem fremden Land und ohne Mobiltelefon, erscheint es mir wie ein kleines Wunder, dass ich zum vereinbarten Zeitpunkt, am vereinbarten Ort, die vereinbarten Menschen treffe, die mich in mein Apartment bringen.



Samstag, 22. März 2014
Jetzt geht’s los!
Sanft und gleichmäßig fuhr der Shinkansen, gut zum Schlafen, zumal mich Tokyos Vororte eh nicht sonderlich interessierten. Flachland habe ich zu Hause genug, ich wollte endlich Berge sehen! Sanft und gleichmäßig durchquerte er auch die Berge, tauchte ein in die malerisch winterliche Berglandschaft, von der ich bis auf ein paar kurze Momente, in denen ich meine Augen aufraffen konnte, leider nicht viel mitbekam, und glitt dahin bis zu seinem Endziel – der Küstenstadt Niigata. Eine Stunde Aufenthalt hatte ich hier, bis mich der nächste Zug endgültig an mein Reiseziel bringen würde. Als ich in Deutschland die Route ausgedruckt hatte, hatte ich geträumt von einem kleinen Café in der Küstenstadt, abseits der hektischen Metropole Tokio. Davon, Menschen und Möwen zu beobachten und langsam in diesem fremden Land anzukommen. Nun war ich da und die Zeit und vor allem meine Verfassung reichten weder zum Erkunden der Stadt, noch zum ernsthaften Verlassen des Bahnhofsgeländes, das zugleich ein mittelgroßes Einkaufszentrum war.
Ich trottete mit Rucksack und Rollkoffer den Gang entlang. Vorbei an kleinen Restaurants, einem westlich wirkenden, sehr vollen Starbucks-Verschnitt, einer japanischen Möchte-Gern-Croissanterie und dem Eingang zu einem größeren, Karstadt-ähnlichen Etablissement. Ich gebe zu, für einen kurzen Moment kam mir der Gedanke an Shopping, reizten mich all die neuen Dinge, die es zu entdecken gab, dann holte mich die Realität wieder ein, meine Müdigkeit, mein Gepäck,.. und ich beschloß vor die Tür zu gehen, um wenigstens kurz japanische Luft zu schmecken. Der Himmel war bedeckt und es war kühl draußen. Die Luft schmeckte nach Winter. Ein wenig schwermütig dachte ich an die Sonne und den gerade aufkeimenden Frühling, den ich hinter mir gelassen hatte. War ich enttäuscht, dass japanische Luft nicht anders schmeckte? Hatte ich das ernsthaft geglaubt? Mir wurde kalt und ich ging wieder zurück ins Einkaufszentrum. Ich wanderte den Gang wieder zurück. Mir war nach einem ruhigen Platz, an dem ich einfach nur eine Tasse grünen Tee trinken konnte. Ich ging an dem Starbucks-Verschnitt vorbei. Nein, dort wollte ich sicherlich nicht hin, obwohl es sehr einfach gewesen wäre. Die Einrichtung wirkte europäisch vertraut und die Leute sahen mit ihren Cafés recht zufrieden aus. Dennoch, mich reizten die kleinen japanischen Lokale – deshalb war ich doch hier, deshalb war ich doch um die halbe Welt gereist! Und ich wollte keinen Kaffee, ich wollte grünen Tee! Im Gegensatz zu Starbucks konnte man in die kleinen japanischen Restaurants nicht durch riesige Glasfenster hineinsehen. Selbst hier, im Einkaufszentrum, war der Innenraum durch hölzerne Schiebetüren Sicht- und Lärmgeschützt und blau-weiße Vorhänge, sogenannte Noren, bedeckten die obere Hälfte des Eingangs und signalisierten, dass das Restaurant offen ist. Ich wusste, dass man drinnen zum Essen umsonst grünen Tee dazu bekam – aber ob man auch nur Tee trinken konnte? Unschlüssig wanderte ich weiter den Gang entlang auf der Suche nach einer Alternative. Ich war der einzige Ausländer weit und breit und angesichts der niedlichen, kleinen Lädchen, den zierlichen Menschen und angesichts meines immer größer und schwerer werdenden Gepäcks kam ich mir zunehmend grob und tolpatschig vor, fühlte mich wie der Elefant im Porzellanladen. Ich wagte mich nirgends hinein, aber weiterlaufen wollte ich auch nicht. Ich blieb unschlüssig stehen, direkt vor dem Starbucks Verschnitt. Mit jedem Mal dass ich an ihm vorbei lief, schien dieser Laden mich unverschämter anzugrinsen und ich bildete mir ein, dass er und die Leute darin begannen sich allmählich lustig über mich zu machen, über meine Sturheit, über meine Unentschlossenheit. Ich musste an die geringelte Katze aus Alice im Wunderland denken, die gemütlich auf einem Ast sitzt und alles kommentiert... „Du könntest es so einfach haben...“ Ich seufzte und schaute mich um. Überall fremde Menschen, fremde Zeichen. Mir wurde mulmig und das erste mal seit meinem Aufbruch begann ich zu zweifeln... Worauf hatte ich mich hier eigentlich eingelassen? Was mich hierher gebracht hatte, war die Erinnerung oder vielmehr die Erfahrung von seltsamer Vertrautheit, die ich erlebt habe in einem Zen-Tempel in Kyoto vor sieben Jahren. Zwischen dem Zen-Tempel in Kyoto und diesem Einkaufszentrum liegen gefühlt weit mehr als die 518km, die (laut GoogleMaps) diese beiden Orte voneinander trennt. Es liegen Welten dazwischen. Und es sind eben diese Welten, an die ich vorweg nicht denken wollte.. wird schon, dachte ich immer. Plötzlich hatte ich das Gefühl, jetzt geht es tatsächlich los... mein Japan-Abenteuer! Aber im Gegensatz zu der aufgeregt, neugierigen Stimmung den dieser Satz die male zuvor ausgelöst hat, zu all dem Stolz mit dem ich mein Vorhaben zu Hause meinen Freunden kundgetan hab und in der ich die Reise geplant hatte, fühlte ich mich nun etwas bange, einsam, verlassen, in dieser Fremde. Ich bin schon viel gereist, bilde ich mir zumindest ein, und nie war mir derart bange, dieses Gefühl ist irgendwie neu. Vielleicht ist das der Moment, wo ein wirkliches Abenteuer beginnt und worin sich die Erfahrung von der Träumerei unterscheidet. Ich belächelte kurz meine Naivität und meinen unermüdlich Zukunftspläne schmiedenden Kopf, lächelte über die vielen Seifenblasen und Luftschlösser, die virtuellen Abenteuer in meinem Kopf ohne jemals einen Fuß vor die Tür gesetzt zu haben. Nein, dass hier ist nicht virtuell - das waren die Erfahrungen, die ich gesucht habe - Jetzt geht es tatsächlich los!
Mein Verstand schaltete sich wieder ein: Ich hatte noch knapp 40 min. Wenn ich mich jetzt nicht entschloss irgendwo einzukehren, reicht die Zeit nicht mehr aus. Ich drehte mich um und ging zurück zu dem kleinen japanischen Restaurant am Anfang des Ganges, zögerte noch einmal kurz und schob dann die Schiebetür auf und nahm den mir zugewiesenen Platz ein. Ein kurzer Blick auf die Karte... Misosuppe geht immer. Also dann Misosuppe...äh und Reis, bitte! Beides Wörter die so banal sind, dass sie selbst die nicht-englisch sprechende Bedienung versteht. Es waren sicherlich nicht die Delikatessen in diesem Laden, aber ich hatte einfach keine Kraft mehr für Kommunikationsexperimente und auch nicht für Entscheidungen. Die Bedienung schaute mich ungläubig an. Hatte sie richtig verstanden? Sie redete kurz mit ihrer Kollegin. Ich überlegte, ob an meiner sehr klaren Bestellung irgendetwas Missverständliches sein konnte – aber egal was sie verstanden hatte, ich würde es essen, nur bitte, bitte nicht nochmal nachfragen... Sie kehrte mit einem laminierten Menü mit Bildchen zurück und zeigte auf Misosuppe und Reis, um sicher zu gehen, dass sie wirklich richtig verstanden hatte. Ich lächelte sie an und nickte ihr versichernd zu. Sie brachte mir grünen Tee und ich bedankte mich und habe mich selten aufrichtiger gefühlt als in diesem Moment: ich saß und vor mir dampfte grüner Tee! Endlich! Beim Essen wurde mir dann die Ungläubigkeit der Bedienung sehr schnell nachvollziehbar, aber das war mir egal. Zwei Dinge wusste ich sicher: um eine weitere Nahrungsaufnahme brauchte ich mich heute nicht zu sorgen und dies war auf jeden Fall das erste und letzte mal, dass ich in Japan eine derart große Portion trockenen Reis bestellt habe.



Die großen Enten von Japan
Geld und Ticket – ich bekam beides, wenn auch mit einigen Komplikationen. Wie angekündigt zierte sich der Automat mir Geld zu geben - ich habe es irgendwann einfach hingenommen - Probleme kann ich lösen, wenn ich ausgeruht bin, also frühestens morgen - und bin zur Wechselstube, um mein restliches Bargeld umzutauschen. Noch 8 min bis der Zug fährt. Einer von mehreren möglichen Zügen, aber für diesen hatte ich schon eine ausgedruckte Verbindung. Ich folgte also brav dem Zeichen „JR“ - Japanese Railways. Im Untergrund angekommen, sehe ich sofort drei freie Automaten. Menschliche Hilfe wäre lieber, dachte ich. Meine Augen suchten hoffnungsvoll einen Schalter. Aber ein kurzer Blick auf die Warteschlange genügte, um meine Hemmungen mit dem Automaten zu kommunizieren zu überwinden. Zu meiner Überraschung kannte er die Kleinstadt in den Bergen. Etwas skeptisch über die mir unerklärlichen Preisunterschiede auf meinem Ausdruck und auf dem Display des Automaten, versuchte ich es dreimal - immer mit dem gleichen Ergebnis. Muss ich Sitzplätze reservieren? Montag morgen? Wohl kaum. Ich riskierte es. Irgendetwas wird er mir schon ausspucken und wenn es verkehrt war – mein Gott – ich bin Ausländer, ich darf auch ein falsches Ticket haben, Hauptsache ich habe überhaupt eines. Drei kleine Zettelchen spuckte er aus, nicht viel größer als Berliner Bustickets und dass für meine fast hundert Euro! Aber die Gleisautomaten liessen mich passieren und nun hatte ich noch 20min, um Luft zu holen und endlich anzukommen, denn den Zug hatte ich gerade verpasst.
Der nächste Zug – ein Expresszug – durfte ich den nehmen? Egal, ich saß endlich in einem Zug. Die Durchsage war auch auf englisch – „Wellcome …bla bla bla...this train is ... reserved seats only“.. Ich wünschte sie wäre nur auf japanisch gewesen. Okay, vielleicht hätte ich doch eine Reservierung nehmen sollen oder besser müssen? Ich wanderte im Zug umher auf der Suche nach einem Schaffner... keiner da. Mit ihren weißen Uniformen, weissen Hüten und weissen Handschuhen waren sie hübsch anzusehen, wie sie draußen eifrig die Kelle schwangen. Ich setzte mich wieder hin, aber ich saß unruhig und nervös. So nervös kenne ich mich sonst nicht, dass muss der Jetlag sein, versuchte ich mich zu rechtfertigen. Ich versuchte etwas zu schlafen. Es gelang mir tatsächlich. Den Expresszuschlag hatte ich vergessen, erfuhr ich kurze Zeit später von dem freundlichen Schaffner, der mich geweckt hatte. Aber das war genauso wenig dramatisch, wie die fehlende Reservierung. Den konnte ich ganz einfach nachbezahlen. Jetzt war mir der Preisunterschied klar.

Tokio! Endlich! Aufgeregt schaute ich aus dem Fenster: Häuser, Häuser, Häuser, häßliche Häuser, Betonburgen, Wellblechhäuser, riesige Werbetafeln...meine Begeisterung ebbte allmählich ab. Ach..., Tokio vielleicht doch eher ein anderes Mal. Für meine momentane Verfassung war Tokio gerade einfach zu groß, zu laut, zuviel. Ich beschloß schnellstmöglich weiter zu fahren. Am Bahnhof angekommen, versicherte ich mich am Schalter, dass mein Ticket ausreicht für den nächsten Zug: ein Shinkansen! Ein tolles Wort. Es bedeutet übersetzt „neue Stammstrecke“ und ist eigentlich die Bezeichnung des Streckennetzes, dass eigens für die Schnellzüge gebaut wurde. Da der Nah- und Güterverkehr ein anderes Netz benutzt, sind sie weltweit unübertroffen pünktlich. Sie sind ein Aushängeschild Japans und dementsprechend gibt es auch hier einen Hype um diese Züge, alle haben Namen und werden bejubelt. Ich wollte damit nur von A nach B kommen und ging zu meinem Gleis. Noch 12min bis zur Abfahrt. Auf dem Gleis waren rote und grüne Markierungen auf dem Boden aufgemalt, die das Anstellen organisierten und immer da endeten, wo sich vermutlich in Kürze eine Tür befinden würde. Und tatsächlich reihten sich die Japaner ganz brav dort ein. Rote Spur und grüne Spur.. 1. und 2. Klasse vielleicht? Ich ging ganz an den Anfang des Gleises und orientierte mich beim Einreihen an der Mehrheit, die auf grün stand. Ich blickte mich um. Am gegenüberliegenden Gleis fuhr gerade ein Zug ein. Wow! Ich gebe zu, soetwas habe ich noch nicht gesehen und plötzlich konnte ich den Hype der Japaner (und vieler Nicht-Japaner) durchaus verstehen. Neben mir hielt ein Hayabusa-Shinkansen, der „Wanderfalke“. Wie mein Shinkansen, ist er im Norden Japans unterwegs, zum Teil mit 320km. Japan ist generell sehr bergig und es gibt viele, viele Tunnel, vergleichbar mit der Schweiz. Um den Tunnelknall, d.h. das Aufprallen auf die im Tunnel nicht nach rechts- und links-ausweichen-könnenden Luftmassen zu minimieren haben die Shinkansen alle eine langgezogene Nase, was aussieht wie ein Entenschnabel. Der grüne Hayabusa hat einen besonders langen Schnabel und sieht daher recht beeindruckend und witzig aus. Mein Shinkansen, der kurz darauf einfährt ist weiss mit einem gelben Streifen an der Seite und einer nicht ganz so langen Nase. Während der Zug innen noch gereinigt wird, beobachtete ich, wie eine Mutter mit ihrem etwa 5jährigen Sohn den Schnabel meines Shinkansen tätschelt und … Fotos macht. Ich überlegte kurz, ob ich mich dazu geselle und meinem Gefährt auch eine solche Anerkennung zukommen lassen sollte, aber angesichts der Menschenmenge hinter mir wagte ich es nicht, meine grüne Markierung zu verlassen, denn sie führte zu dem Türchen von einem der zwei Waggons mit Non-reserved Plätzen im Zug. Ich erfreute mich also aus der Ferne an der kindlichen Vorfreude des Jungen und genoß es, nichts fotografisch festhalten zu müssen - ich war mir sicher, im Internet wimmelt es von Fotos dieser großen Enten. Und tatsächlich...

Shinkansen im Nordosten Japans
"Mein Shinkansen" - Joetsu



Mittwoch, 19. März 2014
Wohin reisen Sie?
Wäre ich jetzt ausgeruht und nicht so geistig abwesend gewesen... ich wäre ihnen wahrscheinlich ausgewichen, hätte es irgendwie gemieden, aber so steuerte ich direkt auf sie zu – oder vielmehr sie auf mich. Es sind wohl Bruchteile von Sekunden, in denen man jenseits aller Sprachtermini kommuniziert, ob man jetzt gerade Lust hat interviewt zu werden oder nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Lust hatte, aber meine verneinenden Signale waren auf jeden Fall deutlich zu schwach, um dieses spritzige Fernsehteam davon abzuhalten, mir das Mikro unter die Nase zu halten und Frontalaufnahmen von meiner übermüdeten Erscheinung zu machen. „Ohaio gozaimasu..“ - „Guten Tag!, dürfen wir.... für das japanische Fernsehen... wir interviewen Ankommende...Woher kommen Sie? Wohin reisen Sie?..“ Sie übersetzten ihre Fragen ins Englische und ich antwortete brav. „Aus Deutschland, Be-ru-ri-nu“ - „Ah... so-des-nee!“ Sind sie das erste mal in Japan? Ich verneine. „Wohin reisen Sie?“ Sie erwarteten vermutlich, dass ich nach Tokyo oder Kyoto reise. Ich sage, „ich weiss noch nicht, vielleicht Hokkaido“. Hokkaido ist die große Insel ganz im Norden, auf die sich der Normaltourist nicht hinverirrt. „Ah, Hokkaido.. so des nee!“ Warum gerade Hokkaido, wollen sie wissen. „Wegen der Natur!“, antworte ich. „Ich habe gehört, dass die Natur dort sehr schön sein soll“. Ich gebe zu, das war etwas provozierend. Als Normaltourist wollte ich nicht gelten. „Ah... so des ne!“ Sie mustern mein Gepäck. „Sieht sehr nach Backpacker aus...“, kommentieren sie. „Sind Sie Backpacker?“ Jetzt muss ich doch ausholen.. Ich erkläre ihnen, dass ich Wissenschaftlerin bin und drei Monate in Tohoku, der Nordregion, an einem Institut arbeiten werde. Ich ernte erstaunte Gesichter. Während meine Antwort ins japanische übersetzt wird, habe ich kurz Pause. Sollte ich ihnen von meiner Mission erzählen? Davon, dass ich vor 7 Jahren schonmal in Kyoto war und seitdem vom Japanvirus infiziert bin und nun auf der Suche bin nach dem Heilmittel und das gerne in unhomeöpathischer Dosis? Vielleicht weiss jemand der Zuschauer wo ich das Mittel finden kann, und meldet sich bei mir... träume ich vor mich hin. Ob sie das verstehen würden? Das Getuschele am anderen Ende des Mikros hat ein Ende.. Was für eine Wissenschaft wollen sie wissen? Biologie, antworte ich. „Ah... so des ne!“ Wieder Getuschele. Ich habe das Gefühl, sie sind auf der Suche nach irgendeinem spannenden Thema, dass unserem Gespräch etwas mehr Substanz verleihen könnte. Sie versuchen es mit der allseits umstrittenen Stammzellthematik und mich durchfährt ein resignierter Seufzer, der hoffentlich nicht von der Frontalkamera neben mir erfasst wurde. Ich weiss nicht, welches Thema ich mir erhofft hätte, aber sicherlich nicht dieses. Und auch nicht alle anderen, polarisierenden Themen, bei denen ich nur die Wahl habe, mich als Gegner oder Befürworter zu outen, ohne Gelegenheit, meine Position wirklich erklären zu können. Ich lächele freundlich und entschuldige mich.. „Dies ist leider nicht mein Spezialgebiet“ - und bin ausnahmsweise mal sehr dankbar dafür, dass es Spezialgebiete gibt, auf denen ich mich nicht auskennen muss. Sie versuchen es weiter... „Gestern abend in den Nachrichten gab es eine neue Entscheidung über...lalala...Stammzell..lalala.??? Haben Sie die gehört?... Was halten Sie davon?“ - So müssen sich Promis oft fühlen... nur weil sie einen Titel führen, oder auch nur das Titelblatt füllen, werden sie in jenster Sache nach ihrer Meinung befragt, ob sie dazu eine haben oder nicht. Ich höre keine Nachrichten, lese keine Zeitung. Ich faste Medien und das ist das einzige fasten, was ich seit Jahren gut durchhalte, weil es mich deutlich unbeschwerter leben lässt. Ob ich Ihnen dass sagen kann? Medien-fasten in einem Land wie Japan? Als Wissenschaftlerin? Ich gebe zu, es ist mir auch etwas unangenehm. Ich kann meist zu meiner Unwissenheit stehen, aber jetzt, in diesem fremden Land und vor laufender Kamera... Glücklicherweise fällt meinem unermüdlich logisch-arbeitenden Verstand eine Antwort ein. „Gestern abend... tut mir leid, da saß ich leider im Flieger, von einer Entscheidung habe ich nichts mitbekommen.“ Ich entschuldige mich nochmals für meine Uninformiertheit, und sie bedanken sich höflich für meine Antwort. Auf welchem Kanal sie auch senden mögen, sicher nicht auf meinem, und ich nicht auf ihrem, das spüren wir wohl auf beiden Seiten und das ist in Ordnung so. Wir bedanken uns nochmals und verabschieden uns und ich gehe weiter und versuche nicht darüber nachzudenken, ob ich diesen meinen Auftritt im japanischen Fernsehen jetzt gut fand oder nicht. Das war jetzt auch egal. Geld und Ticket - waren jetzt wichtig.



Gelandet – Gestrandet
Puhh. Endlich. Boden unter den Füßen. Mutter Erde, ich danke Dir. Und jetzt.. dem Strom folgen. Mein Rucksack war als erstes da. Gut, dann kann es ja jetzt losgehen. Ich trottete mit meinem Rucksack und Rollkoffer endlos lange Gänge entlang; dankbar über globale Standards, die das Ankommen auf fremden Boden durch vertraute Sprache und Symbolik doch sehr erleichtern und über die recht einfachen Entscheidungen, die mir zu diesem Zeitpunkt abverlangt wurden: Exit oder Weiterfliegen. Nein, ich will nicht weiterfliegen, ich will weiter Bahn fahren. Dafür brauche ich Geld und Tickets – das war die nächste Herausforderung, auf die ich mich innerlich vorbereitete. Geld abheben ist etwas schwierig. Irgendetwas ist mit den EC-Karten kaputt, man kann eigentlich nur an Flughäfen oder Postämtern Geld abheben, aber besser sind Flughäfen. Ich war müde und erschöpft. 16 Stunden war ich jetzt schon unterwegs. Wie ferngesteuert gehe ich zur Eingangshalle... Ticket und Geld, Ticket und Geld und dann kann ich erstmal wieder schlafen..hämmert es in meinem Kopf.
Ich gehe durch die Glastür, die die Ankommenden von den Wartenden trennt und schaue auf. Irgendwie ist es immer ein magischer Moment, dieses Durch-die-Glastür-kommen: Jetzt verlasse ich die global-vertraute Flughafenempfangswelt, die standardisierten Abläufe, die überschaubare Symbolik und die einfachen Entscheidungen. Hier beginnt die andere Welt, spätestens hier fängt die Exotik an. Ab hier sieht die Welt asiatisch, amerikanisch, thailändisch, europäisch oder was auch immer aus. Ab hier ist man den lokalen Gesetzmäßigkeiten einschließlich lokaler Kennzeichnungen ausgesetzt, ab hier ist man wieder selbstverantwortlich. Zig Augenpaare starren mich an, scannen mich für einen Bruchteil von Sekunden... aber nein, ich bin nicht die Person, auf die sie warteten. Schwupp, schon scannen sie die Person nach mir. Auch nicht? Na, dann schwupp, weiter. Gehe ich selbst? Werde ich nicht von ihrer fortwährend nach neuen zu scannenden Objekten drängenden Aufmerksamkeit einfach weiter geschoben? Und gehe ich nicht absichtlich etwas langsamer, um dieses wohlige Bad in Aufmerksamkeit noch etwas zu verlängern? Ist es vielleicht gerade wohlig, weil sie mir so gar nicht zugedacht ist diese Aufmerksamkeit, weil niemand wirklich etwas von mir will, außer mich zu scannen? Ich genoß den süßen Nachgeschmack dieses besonderen Momentes, der so frei von Erwartungen und voll von Geschenken ist, und wagte noch nicht recht nach vorn zu schauen. Die Situation hatte mich aus meiner zielgerichteten Geld-Ticket-Planung rausgeworfen und nun fühlte ich mich orientierungslos gestrandet in dieser fremden Welt. Ich versuchte mich innerlich wieder zu sortieren, während ich automatisch weiter in Richtung Empfangshalle ging.