Sonntag, 13. April 2014
Der alte Garten
Im Anschluß an das gute Mahl im Park-Restaurant Samstag nachmittag, habe ich beschlossen, endlich das Museum um die Ecke zu besichtigen. Meine Japanischlehrerin hat mich neugierig gemacht, mit der Aussage, dass ein altes Farmhaus aus der Gegend in der sie aufgewachsen ist, dorthin versetzt wurde und ich wollte sehen, wie die alten Bauernhäuser in Japan aussahen. Es war schon reichlich spät, aber die Frau an der Kasse versicherte mir, die verbleibende Stunde bis zum Toresschluß reiche völlig für das Museum. Ich war skeptisch, aber ging trotzdem rein.

Das Haus und das Grundstück gehört der Familie, die lange Zeit hier geherrscht hat und 1950 ihren Familienbesitz, inklusive Garten, in einer Art Heimatmuseum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Drinnen durfte man keine Fotos machen, leider, sonst hätte ich die aus alten Kimonofäden gewebten Fischer- und Bauernkluften fotografiert - die waren beeindruckend schön. In dem zeitlos schlichten Design hätte die Kollektion auch gut in einen gehobeneren Kreuzberger Laden gepasst. Beim späteren Recherchieren habe ich gelernt, dass die Idee des Wiederverwertens von Dingen hierzulande einen Namen hat: Mottainai! und auch, dass dieses alte Handwerk auch andere Menschen derart begeistert hat, dass sie diese Tradition des Verwebens alter Fäden wieder aufgegriffen und wiederbelebt haben.

Auch die Flechtkunst, mit der sie diverse kleine Behältnisse, wie z.B. BentoBoxen! herstellen, war interessant, auch weil sie diese hinterher lackierten. Es gab eine große Sammlung verschiedenster geflochtener Reusen der Fischer und eine Sammlung sehr schöner, langer Bambusrouten. Der Landlord hatte seinen Samurei nahegelegt doch Fischfang zu betreiben, um ihre martialen Fähigkeiten weiter zu trainieren ohne ständig kämpfen zu müssen. Statt einem Schwert bekamen sie eine lange Rute aus Bambus, für die die gleichen ehrenvollen Umgangsformen galten, wie für ihr Schwert. Diese schlichten, schätzungsweise 4-5m langen Routen waren sehr schön und erinnerten mich ein wenig an die Sammlung von Holzbögen eines begnadeten Berliner Bogenbauers. Das Bild daneben brachte mich zum Schmunzeln. Es zeigte die Garde kräftiger, junger Samurei in schicken Trachten, die - ein jeder mit seiner langen Bambusroute auf einem Fels im Wasser stehend - angelten... Das war irgendwie "niedlich".
Im Garten habe ich enthemmt durch eine kleine Gruppe Japanerinnen, die munter alles fotografierten - mich inklusive - dann doch die Kamera gezückt und einige, scheue Fotos gemacht. Hier eines von dem japanischen Bauernhaus, für das mir leider kaum mehr Zeit blieb. Alles was ich davon im Schnelldurchlauf mitbekommen habe, war der intensiv-rauchige Geruch und die Schwärze des Rußes überall, denn drinnen gab es zwar Feuerstellen, aber keinen offensichtlichen Abzug, wie in unseren Häusern. Vielleicht, wie immer versteckt? Dass muss ich mir ein andermal nochmal genauer anschauen.
Der alte Kirschbaum links daneben ist von der knorrigen Sorte, wie sie auch im Park vielfach zu finden sind. Und wie seine Kollegen, ist auch dieser hier, sehr alt und innen hohl. Er besteht quasi aus nichts außer der Hülle eines Baumes und erblüht dennoch alljährlich in jugendlich-zartem Rosa.
Der Teich gehört zu dem alten Garten, der selbst nicht wirklich groß ist, und doch sehr, sehr kompakt und schön. Ich habe einen wunderbaren Zeitpunkt abgepasst, ihn zu entdecken, denn der alte Kirschbaum stand in voller Blüte.
Den schönsten Blick auf den Garten hatte ich jedoch aus jenem alten Holzhaus heraus:
Der Eingang befindet sich an der dem Garten abgewandten Seite und man musste - wie so oft - die Schuhe ausziehen. Meine Wanderschuhe sind was das betrifft denkbar unpraktisch, aber der Aufwand hat sich gelohnt, denn nun durfte ich auf jahrhunderte alten, schon weich getretenen Tatamimatten umherwandeln. Wieviele Füße sind hier schon entlang geschlurft? Unzählige... und jeder einzelne hat das Stroh etwas weicher werden lassen. Ein angenehmes Gefühl und ich schritt ganz vorsichtig, fast erfurchtsvoll von Matte zu Matte. Vielleicht, weil ich durch meine Füße das Alter dieser Matten und dieses Hauses direkt spüren konnte... und die leblosen Dinge und beschriebenen Geschichten so etwas lebendiger wurden. Oder weil mich der angenehm weiche und warme Boden einfach hat sinnlich offener werden lassen - wer weiss. Ich war auf jedenfalls sehr angetan von dem Raum, dem Geruch, der Stille und als ich durch eine der Schiebetüren nach draußen den Garten erblickte, blieb ich offenen Mundes stehen und sank hypnotisiert zu Boden. Der alte Garten erschlug mich förmlich und ich trank durstig mit meinen Augen die Farben und Formen dieses Ensembles: das flache Türkis des Teichs, das rauhe Grau der kleinen Brücke, das markant in einem kräftigen Bogen gezähmte Rotbraun der Kiefer, dazwischen das Grün der sanft geschwungenen Büsche und Hügel und zu alledem das zarte Rosa der unzähligen Blüten des seit Jahrhunderten alljährlich erblühenden und liebevoll in Szene gesetzten alten Kirschbaums.
Ich bin dankbar für diese Minuten, in denen ich mich in Stille und ungestört diesem Anblick hingeben durfte, und meine Achtung vor diesem schönen Miteinander war offensichtlich so groß, dass selbst mein unermüdlich analysierender Verstand es unterlassen hat, das Erblickte in Einzelteile zu zerlegen und stattdessen respektvoll schwieg.



Mittwoch, 19. März 2014
Wohin reisen Sie?
Wäre ich jetzt ausgeruht und nicht so geistig abwesend gewesen... ich wäre ihnen wahrscheinlich ausgewichen, hätte es irgendwie gemieden, aber so steuerte ich direkt auf sie zu – oder vielmehr sie auf mich. Es sind wohl Bruchteile von Sekunden, in denen man jenseits aller Sprachtermini kommuniziert, ob man jetzt gerade Lust hat interviewt zu werden oder nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Lust hatte, aber meine verneinenden Signale waren auf jeden Fall deutlich zu schwach, um dieses spritzige Fernsehteam davon abzuhalten, mir das Mikro unter die Nase zu halten und Frontalaufnahmen von meiner übermüdeten Erscheinung zu machen. „Ohaio gozaimasu..“ - „Guten Tag!, dürfen wir.... für das japanische Fernsehen... wir interviewen Ankommende...Woher kommen Sie? Wohin reisen Sie?..“ Sie übersetzten ihre Fragen ins Englische und ich antwortete brav. „Aus Deutschland, Be-ru-ri-nu“ - „Ah... so-des-nee!“ Sind sie das erste mal in Japan? Ich verneine. „Wohin reisen Sie?“ Sie erwarteten vermutlich, dass ich nach Tokyo oder Kyoto reise. Ich sage, „ich weiss noch nicht, vielleicht Hokkaido“. Hokkaido ist die große Insel ganz im Norden, auf die sich der Normaltourist nicht hinverirrt. „Ah, Hokkaido.. so des nee!“ Warum gerade Hokkaido, wollen sie wissen. „Wegen der Natur!“, antworte ich. „Ich habe gehört, dass die Natur dort sehr schön sein soll“. Ich gebe zu, das war etwas provozierend. Als Normaltourist wollte ich nicht gelten. „Ah... so des ne!“ Sie mustern mein Gepäck. „Sieht sehr nach Backpacker aus...“, kommentieren sie. „Sind Sie Backpacker?“ Jetzt muss ich doch ausholen.. Ich erkläre ihnen, dass ich Wissenschaftlerin bin und drei Monate in Tohoku, der Nordregion, an einem Institut arbeiten werde. Ich ernte erstaunte Gesichter. Während meine Antwort ins japanische übersetzt wird, habe ich kurz Pause. Sollte ich ihnen von meiner Mission erzählen? Davon, dass ich vor 7 Jahren schonmal in Kyoto war und seitdem vom Japanvirus infiziert bin und nun auf der Suche bin nach dem Heilmittel und das gerne in unhomeöpathischer Dosis? Vielleicht weiss jemand der Zuschauer wo ich das Mittel finden kann, und meldet sich bei mir... träume ich vor mich hin. Ob sie das verstehen würden? Das Getuschele am anderen Ende des Mikros hat ein Ende.. Was für eine Wissenschaft wollen sie wissen? Biologie, antworte ich. „Ah... so des ne!“ Wieder Getuschele. Ich habe das Gefühl, sie sind auf der Suche nach irgendeinem spannenden Thema, dass unserem Gespräch etwas mehr Substanz verleihen könnte. Sie versuchen es mit der allseits umstrittenen Stammzellthematik und mich durchfährt ein resignierter Seufzer, der hoffentlich nicht von der Frontalkamera neben mir erfasst wurde. Ich weiss nicht, welches Thema ich mir erhofft hätte, aber sicherlich nicht dieses. Und auch nicht alle anderen, polarisierenden Themen, bei denen ich nur die Wahl habe, mich als Gegner oder Befürworter zu outen, ohne Gelegenheit, meine Position wirklich erklären zu können. Ich lächele freundlich und entschuldige mich.. „Dies ist leider nicht mein Spezialgebiet“ - und bin ausnahmsweise mal sehr dankbar dafür, dass es Spezialgebiete gibt, auf denen ich mich nicht auskennen muss. Sie versuchen es weiter... „Gestern abend in den Nachrichten gab es eine neue Entscheidung über...lalala...Stammzell..lalala.??? Haben Sie die gehört?... Was halten Sie davon?“ - So müssen sich Promis oft fühlen... nur weil sie einen Titel führen, oder auch nur das Titelblatt füllen, werden sie in jenster Sache nach ihrer Meinung befragt, ob sie dazu eine haben oder nicht. Ich höre keine Nachrichten, lese keine Zeitung. Ich faste Medien und das ist das einzige fasten, was ich seit Jahren gut durchhalte, weil es mich deutlich unbeschwerter leben lässt. Ob ich Ihnen dass sagen kann? Medien-fasten in einem Land wie Japan? Als Wissenschaftlerin? Ich gebe zu, es ist mir auch etwas unangenehm. Ich kann meist zu meiner Unwissenheit stehen, aber jetzt, in diesem fremden Land und vor laufender Kamera... Glücklicherweise fällt meinem unermüdlich logisch-arbeitenden Verstand eine Antwort ein. „Gestern abend... tut mir leid, da saß ich leider im Flieger, von einer Entscheidung habe ich nichts mitbekommen.“ Ich entschuldige mich nochmals für meine Uninformiertheit, und sie bedanken sich höflich für meine Antwort. Auf welchem Kanal sie auch senden mögen, sicher nicht auf meinem, und ich nicht auf ihrem, das spüren wir wohl auf beiden Seiten und das ist in Ordnung so. Wir bedanken uns nochmals und verabschieden uns und ich gehe weiter und versuche nicht darüber nachzudenken, ob ich diesen meinen Auftritt im japanischen Fernsehen jetzt gut fand oder nicht. Das war jetzt auch egal. Geld und Ticket - waren jetzt wichtig.



Gelandet – Gestrandet
Puhh. Endlich. Boden unter den Füßen. Mutter Erde, ich danke Dir. Und jetzt.. dem Strom folgen. Mein Rucksack war als erstes da. Gut, dann kann es ja jetzt losgehen. Ich trottete mit meinem Rucksack und Rollkoffer endlos lange Gänge entlang; dankbar über globale Standards, die das Ankommen auf fremden Boden durch vertraute Sprache und Symbolik doch sehr erleichtern und über die recht einfachen Entscheidungen, die mir zu diesem Zeitpunkt abverlangt wurden: Exit oder Weiterfliegen. Nein, ich will nicht weiterfliegen, ich will weiter Bahn fahren. Dafür brauche ich Geld und Tickets – das war die nächste Herausforderung, auf die ich mich innerlich vorbereitete. Geld abheben ist etwas schwierig. Irgendetwas ist mit den EC-Karten kaputt, man kann eigentlich nur an Flughäfen oder Postämtern Geld abheben, aber besser sind Flughäfen. Ich war müde und erschöpft. 16 Stunden war ich jetzt schon unterwegs. Wie ferngesteuert gehe ich zur Eingangshalle... Ticket und Geld, Ticket und Geld und dann kann ich erstmal wieder schlafen..hämmert es in meinem Kopf.
Ich gehe durch die Glastür, die die Ankommenden von den Wartenden trennt und schaue auf. Irgendwie ist es immer ein magischer Moment, dieses Durch-die-Glastür-kommen: Jetzt verlasse ich die global-vertraute Flughafenempfangswelt, die standardisierten Abläufe, die überschaubare Symbolik und die einfachen Entscheidungen. Hier beginnt die andere Welt, spätestens hier fängt die Exotik an. Ab hier sieht die Welt asiatisch, amerikanisch, thailändisch, europäisch oder was auch immer aus. Ab hier ist man den lokalen Gesetzmäßigkeiten einschließlich lokaler Kennzeichnungen ausgesetzt, ab hier ist man wieder selbstverantwortlich. Zig Augenpaare starren mich an, scannen mich für einen Bruchteil von Sekunden... aber nein, ich bin nicht die Person, auf die sie warteten. Schwupp, schon scannen sie die Person nach mir. Auch nicht? Na, dann schwupp, weiter. Gehe ich selbst? Werde ich nicht von ihrer fortwährend nach neuen zu scannenden Objekten drängenden Aufmerksamkeit einfach weiter geschoben? Und gehe ich nicht absichtlich etwas langsamer, um dieses wohlige Bad in Aufmerksamkeit noch etwas zu verlängern? Ist es vielleicht gerade wohlig, weil sie mir so gar nicht zugedacht ist diese Aufmerksamkeit, weil niemand wirklich etwas von mir will, außer mich zu scannen? Ich genoß den süßen Nachgeschmack dieses besonderen Momentes, der so frei von Erwartungen und voll von Geschenken ist, und wagte noch nicht recht nach vorn zu schauen. Die Situation hatte mich aus meiner zielgerichteten Geld-Ticket-Planung rausgeworfen und nun fühlte ich mich orientierungslos gestrandet in dieser fremden Welt. Ich versuchte mich innerlich wieder zu sortieren, während ich automatisch weiter in Richtung Empfangshalle ging.